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Elfenlicht

Elfenlicht

Titel: Elfenlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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ihrem Blickfeld zu sein, und hatte eine kleine Pause eingelegt.
    Die feinen Härchen in Kadlins Nacken sträubten sich. Sie wurde beobachtet! Ein unangenehmer Geruch lag in der Luft. Es stank nach Aas. Der Kiefernduft überdeckte den Aasgestank fast. Er war mehr Ahnung als Gewissheit.
    Mit zusammengekniffenen Augen spähte sie hinauf zu dem Brombeerdickicht. Ein scharfer Knall hallte über die Waldschneise. Jemand hatte einen dicken Ast zerbrochen.
    Plötzlich erklang hinter ihr ohrenbetäubendes Gebrüll. Sie fuhr herum und riss den Bogen hoch. Aus dem Chaos zersplitterter Stämme brach ein Schneelöwe hervor. Eine riesige, grauweiße Bestie.
    Kadlin wich zurück. Sie hob den Bogen und schoss, doch der Pfeil war schlecht gezielt. Sie streifte die dichte Mähne des Löwen, ohne Schaden anzurichten.
    Ohne den Blick von der Bestie zu wenden, hetzte sie die Schneise empor. Immer wieder strauchelte sie über Wurzeln. Ein Teil der Pfeile fiel aus ihrem Köcher. Mit fliegender Hast legte sie ein neues Geschoss auf die Sehne.
    Der Schneelöwe folgte ihr. Beängstigend schnell stürmte er vor, setzte über einen Wurzelstrunk hinweg und hatte sie fast erreicht.
    Kadlin zog die Bogensehne bis zur Wange durch. Sie zielte auf das rechte Auge des Löwen. Ihr Herzschlag beruhigte sich. Sie sah nicht mehr das tödliche Raubtier, sondern nur noch ihr bernsteinfarbenes Ziel.
    Der Pfeil schnellte davon. Die Bestie duckte sich zum Sprung, und das Geschoss verfehlte sein Ziel. Es zog eine tiefe, blutige Furche über die Stirn der Raubkatze und verfing sich in der dichten Mähne. Der Schneelöwe stieß ein ohrenbetäubendes Brüllen aus. Helles Blut sickerte ihm ins rechte Auge und troff zu seinen Lefzen hinab.
    Kadlin wich ein Stück zurück. Ihre Rechte tastete nach dem Köcher mit den Pfeilen. Noch einen Schuss, solange er wütend ist, dachte sie. Das ist die letzte Gelegenheit! Die gefiederten Pfeilschäfte glitten ihr zwischen den Fingern hindurch. Sie machte hastig ein paar Schritte zurück, um etwas mehr Abstand zu gewinnen.
    Ruhe, ermahnte sie sich und atmete tief aus. Sie legte einen Pfeil auf die Sehne und machte noch einen weiteren Schritt zurück, als etwas mit eisernem Griff ihren linken Knöchel umschloss. Sie wurde nach hinten gerissen. Der Pfeil schnellte in den Himmel davon. Ein grausilberner Schatten glitt über sie hinweg. Die Zeit schien langsamer zu fließen, als habe der Schicksalsweber beschlossen, ihr eine letzte Frist zu gewähren,um sich von der Welt zu verabschieden. Überdeutlich sah sie die Schlammspritzer und Kletten im Bauchfell des Schneelöwen. Seine riesigen Pranken mit den gekrümmten, hellen Krallen, die ihr gleich das Fleisch vom Leib reißen würden. Den langen Schwanz, der in einer schwarzen Quaste endete.
    Kadlin schlug hart auf den Boden. Zersplitterte Wurzelstränge stießen durch ihr ledernes Jagdhemd und schrammtenüber ihr Fleisch. Über ihr war der Himmel. Wunderbar weit, wolkenlos und von einem strahlenden, hellen Blau.
    Geröll stob knirschend zur Seite, als der Schneelöwe hinter ihr landete. Ihr Sturz hatte ihr eine winzige Gnadenfrist verschafft. Sie ließ den Bogen fallen, den sie immer noch umklammert hielt, und zog das Jagdmesser aus ihrem Gürtel. Sie würde sterben, aber der Löwe sollte dafür bluten, dass er sich ausgerechnet sie als Beute ausgesucht hatte.
    »He, du flohzerfresssene Missgeburt! Komm her zu mir! Kämpf wie ein Mann!« Björn war hinter dem Kiefernbruch hervorgekommen und schwenkte herausfordernd seine Saufeder. Er schrie aus Leibeskräften. Und tatsächlich, der Löwe wandte sich von Kadlin ab. Knurrend ging er dem jungen Krieger entgegen.
    Kadlin versuchte aufzustehen. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihren Knöchel. Ihr Fuß war verstaucht. Noch einmal mühte sie sich, hochzukommen, knickte aber sofort wieder ein. Fluchend griff sie nach ihrem Bogen.
    Björn und der Schneelöwe umkreisten einander. Der Herzogssohn war tief in die Knie gegangen und hielt die Saufeder flach über dem Boden. Ihre Spitze folgte jeder der Bewegungen des Löwen.
    Kadlin wagte es nicht, Björn zu rufen. Jeden Augenblick würde der Löwe angreifen. Wenn sie Björn jetzt ablenkte, mochte das sein Tod sein. So wie die beiden standen, konnte sie nicht schießen. Das Risiko, Björn zu treffen, war zu groß.
    Die Raubkatze stieß ein markerschütterndes Gebrüll aus. Björn zuckte vor ihr zurück. Im selben Augenblick sprang der Löwe vor. Mit der Vorderpranke hieb er nach der Spitze der

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