Elfenlicht
Schattenwesen gekommen war, verschwieg der Verfasser. Ganda nahm aufgrund der Handschrift an, dass es sich um einen männlichen Autor handelte. Einen sicheren Beweis hatte sie nicht. Die Lutin vermutete, dass der Urheber des Schriftstücks auf magische Weise versucht hatte, eine Verbindung zu den Yingiz herzustellen. Es gabAndeutungen, dass die Ältesten unter den beseelten Bäumen wussten, wie man die Bannzauber der Alben umging und die Schattenwesen rief.
Ganda konnte sich nicht vorstellen, wie man freiwillig einen Pakt mit den Yingiz schloss. Sie dachte an die Nacht mit Mondblüte und das totgeborene Kind. Die Yingiz waren zu Schatten geronnener Hass. Sie gehörten nicht nach Albenmark! Und Ganda würde alles dafür geben, sie von dort wieder zu vertreiben.
Der anonyme Autor schrieb auch von den Devanthar. Dieses andere Dämonenvolk, das von den Alben bekriegt worden war, vermochte die Körper seiner Opfer zu stehlen und deren Gestalt anzunehmen. Und wenn die Devanthar töteten, konnten sie sogar die Erinnerungen des Ermordeten rauben. Die Yingiz hingegen waren anders. Offenbar brauchten sie Hilfe, um das Nichts zu verlassen, und man musste ihnen einen Körper verschaffen, mit dem sie verschmelzen konnten. Die Geschöpfe, die so erstanden, waren geisterhafte Zerrbilder wirklichen Lebens. Und sie waren stets auf der Jagd. Doch nicht Fleisch oder Blut waren ihre Nahrung. Sie labten sich am Lebensfunken ihrer Opfer. An dem Unsterblichen, das die Alben jedem ihrer Kinder eingehaucht hatten, selbst jenen, die nicht wiedergeboren werden konnten. Um einen eigenen stofflichen Leib ausformen zu können, mussten die Yingiz zunächst genug von dieser Essenz des Lebens in sich aufnehmen ...
»Was haltet ihr davon, wenn wir alle gemeinsam ein gutes Mahl einnehmen?« Galawayn ließ sich neben Ganda an dem niedrigen Studiertisch nieder. Ollowain aber stand bereits wieder neben dem Falrach-Tisch. Die Arme vor der Brust gekreuzt, rieb er sich mit einer Hand das Kinn und betrachtete ganz in sich versunken das Spielfeld.
»Es geht wieder los mit ihm«, flüsterte der Hüter des Wissens. »Obwohl er sich darauf eingelassen hat, mir eine Fechtlektion zu erteilen, hatte ich von Anfang an den Eindruck, dass er es gar nicht abwarten konnte, zum Ende zu kommen.« Galawayn zeigte ihr seine rechte Hand. Ein breiter, blauroter Striemen lief quer über den Handrücken. »Das war kein Unfall! Dafür ist Ollowain viel zu gut. Ich halte mich selbst nicht für einen völligen Dilettanten im Schwertkampf. Mein Volk ist berühmt für seine Meisterschaft im Klingentanz. In den letzten Jahrhunderten bin ich zwar ein wenig eingerostet, aber in meiner Jugend war ich ein sehr guter Fechter. Im Vergleich zu Ollowain bin ich jedoch ein Nichts. Ich hatte das Gefühl, dass er um jeden meiner Streiche wusste, noch bevor ich überhaupt zum Hieb ansetzen konnte. Anfangs blockte er mich nur ab, aber dann zog es ihn zurück zum Falrach-Tisch. Und er hat mich mit der breiten Seite seines Schwertes regelrecht verprügelt, damit ich unsere Übungsstunde vor der Zeit beende.«
Ganda hatte kein Mitleid mit ihm. Wenn alterslose Elfen von ihrer lang vergangenen Jugend sprachen, fand sie das geradezu obszön. All die Jahrhunderte, die Galawayn lebte, hatten nicht die kleinste Falte in sein Antlitz gekerbt. Trauer um die verlorene Jugend erschien ihr da als hohles Geschwätz.
»Gibt es eine Möglichkeit, das Spiel vor der Zeit zu beenden, so wie die Schwertkampfübung? Ich habe das Gefühl, wir werden Ollowain nicht vom Tisch wegbekommen, bevor die Partie entschieden ist. Mit der Aussicht auf ein paar Happen zu essen wirst du ihn jedenfalls kaum fortlocken können.«
Der Elf nickte tief in Gedanken. »Das Spiel vor der Zeit beenden, das wird sehr schwer. Es sei denn ...« Er sah die Lutin nachdenklich an. »Du bist keine Spielerin, nicht wahr?«
»Jedenfalls keine Falrach-Spielerin. Ich bin keine Elfe, ich habe nicht die Muße, meine Tage damit zu vergeuden. Meine Lebensspanne ist dafür zu knapp bemessen.«
Galawayn lächelte. »Werde ich eines Tages erfahren, mit welcher Art von Spielen du dich beschäftigst?«
»Wenn du es schaffst, mich eines Tages in die Stimmung dazu zu versetzen«, entgegnete sie vieldeutig.
Ihr Gegenüber lachte auf. »Du bist ein Weib nach meinem Geschmack, Ganda. Auch wenn es unhöflich ist, hoffe ich, dass du noch viele Tage brauchen wirst, um das zu finden, was du suchst. Einen Gast wie dich konnte ich bislang noch nicht willkommen
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