Elfenlied
anderen Kindern am Ende der Karawane. Sie werden dir zeigen, was zu tun ist. Und lass dich nicht bescheißen!« Er brach in schallendes Gelächter aus.
Mit einem unguten Gefühl verließ ich das Zelt. Ich überlegte kurz, ob ich zu Zita gehen sollte. Sie wusste auch alles, dessen war ich mir sicher. Aber ihr konnte man bestimmt noch weniger trauen als Gromjan.
Unsicher stieg ich von der alten Hornschildechse. Die Karawane erstreckte sich inzwischen auf eine Länge von etwa einer halben Meile. Die Echsen gingen nicht hintereinander, sondern wanderten in einer offenen Formation. Sie weideten im Gehen und trampelten eine breite Schneise durch das Gras. Alle Lutin, an denen ich vorüberkam, starrten mich unverhohlen an. Aber niemand sprach mit mir.
Die meisten Frauen und Kinder gingen barfuß. Die Kinder trugen oft nur ein Hemd, einige waren ganz nackt. Die Frauen aber waren in enge Reithosen gekleidet. Dazu trugen sie grobe Leinenhemden und knappe, bunt bestickte Westen. Mir wurde bewusst, dass ich als Einzige ein Kleid trug.
Viele der Männer ritten auf Eseln. Auch sie trugen enge Hosen, dazu Schaftstiefel. Aus breiten Bauchbinden ragten Messergriffe. Die meisten ritten mit nacktem Oberkörper. Einige prahlten mit speckigen, abgewetzten Lederjacken und grellbunten Seidenschals.
Ich beobachtete sie verstohlen. Sie wirkten zufrieden, lachten miteinander. Könnte ich so sein wie sie? Würden sie mich aufnehmen? Obwohl sie sich ablehnend verhielten, fühlte ich tief im Herzen, dass ich endlich ein richtiges Zuhause gefunden hatte. Hier gehörte ich hin. Ich war unter meinesgleichen. Und ich würde alles dafür tun, dass sie mich akzeptierten.
Am Ende der Karawane ging allein Mira. Sie summte leise vor sich hin und war so in Gedanken versunken, dass sie mich erst bemerkte, als ich vor ihr stand. Sie zog einen Sack neben sich her, der mit irgendetwas halb gefüllt war. Holz war es nicht!
»Hallo, Drachenkind!« Sie ahmte jemanden nach. War es Zita?
»Was soll das heißen – Drachenkind?«
Sie fing haltlos an zu kichern. »So nennt meine Großmutter dich. Sie sagt, du bist verflucht. Und dass du noch dümmer bist als ich, weil du die Hornschildechsen für Drachen gehalten hast. Elija hat uns das erzählt.«
Mira denkt sich nichts dabei, redete ich mir ein. Wenn ich ihr zu verstehen gäbe, wie blöd ich sie fand, dann wäre ich hier hinten ganz allein geblieben.
»Gromjan hat gesagt, du sollst mir zeigen, was am Ende der Karawane zu tun ist.«
Plötzlich machte die Kleine ein ganz ernstes Gesicht. »Ich musste noch nie etwas zeigen. Aber ich kann das! Wir glotzen den Echsen auf den Arsch. Das ist schon alles.«
Ich seufzte. »Das ist alles? Warum tun wir das?«
Wieder stieß sie ihr albernes Kichern aus. »Du bist wirklich noch dümmer als ich! Wir warten natürlich darauf, dass sie was fallen lassen. Und dann laufen wir hin und holen es uns.«
Das konnte nicht wahr sein! »Wir sammeln Echsenscheiße? «
»Natürlich. Für das Feuer heute Abend. Sonst gibt es hier nichts, um Feuer zu machen. Sieh mal, Wolfsbeißer lässt was fallen! Aber das gehört mir! Ich hab es zuerst gesehen!« Sie lief davon.
Ungläubig beobachtete ich, wie sie die großen Dungballen mit bloßen Händen in ihren Sack schaufelte.
Ich seufzte. Wie hatte ich darauf kommen können, dass Gromjan mir einen Gefallen tat, indem er mich hierhinschickte, statt mich sein stinkendes Zelt in Ordnung bringen zu lassen?
Langsam ging ich auf Mira zu.
»Das war reichlich«, jubelte sie. »Komm, du kannst zwei Handvoll von mir abbekommen.« Sie streckte mir den geöffneten Sack entgegen. Er stank nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte. Dennoch lehnte ich es ab, hineinzugreifen.
»Dein Kleid ist sehr hübsch. Ich mag Rot. Darf ich es einmal anfassen?«
Ich sah auf ihre Hände.
Mira bemerkte den Blick und putzte sich die stinkenden Finger an ihrem Hemd ab. Wie es schien, tat sie das häufig. Ohne meine Zustimmung abzuwarten, tastete sie über den feinen Elfenstoff.
»Das fühlt sich ja besser an als Butterblumenblüten«, schwärmte sie. »Meine Großmutter hat gesagt, ich werde es bekommen, wenn sie dich wegmachen.«
Ich wich einen Schritt zurück. »Was soll das heißen?«
Mira zuckte mit den Schultern. »Sie hat das halt so gesagt. Lutin nehmen niemals Fremde unter sich auf. Sie will dich wegmachen. Und dann bekomme ich dein Kleid.«
In diesem Augenblick fühlte ich mich genau so wie an dem Abend, als der steinerne Fisch Bollo verschluckt
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