Elfenlied
es keinen Ausgang. Man konnte nur durch den verborgenen Albenstern hierhergelangen. Das warme Licht von Barinsteinen vertrieb die Finsternis. Dunkle Erde bedeckte den Boden, und lebende Wurzelstränge rankten sich darüber.
In eine Wand waren eiserne Fesseln eingelassen. Der Ort hatte etwas Beklemmendes. Durch die feuchte Erde roch er wie ein Grab. In einigen Nischen entlang der Wände standen fettig glänzende, schwarze Kerzenstummel.
Dann entdeckte ich das Kästchen mit den Intarsien aus gelb gewordenen Pferdezähnen. Die Stimme meiner Mutter klang in meiner Erinnerung wieder. Sie hatte mir verboten, dieses Kästchen zu öffnen. Ich habe immer auf sie gehört. Ich hatte ja niemanden außer ihr …
Alathaia wollte mich also für etwas töten, was ich gar nicht wusste!
Ich war unglaublich wütend. Und dann traf ich die dümmste Entscheidung meines Lebens. Ich ging zum Kästchen und öffnete es. Von da an überschlugen sich die Ereignisse. Kaum dass ich es tat, erwachten die Wurzelstränge an den Wänden zu unheimlichem Leben. Sie bewegten sich. Sie griffen nicht nach mir, aber sie gaben einen leisen, sirrenden Laut von sich.
Ich nahm das Kästchen und steckte es in die Tasche meiner Mutter. Wir Lutin sind ein Volk von Dieben und Lügnern. Es war ein Reflex, das Kästchen einzustecken. Ich konnte gar nicht anders! Ob es meinem Vater und meiner Mutter genauso ergangen war?
Ich kämpfte mich mit Klimmzügen die Treppenstufen hinauf und floh über die Albenpfade zurück zum Thronsaal. Es war einfach der Weg, den ich gekommen war. Aber ich wusste, dass ich hier nicht sicher wäre. Nicht, solange Emerelle vertrieben war. Skanga, die Trollschamanin und eigentliche Herrscherin hinter Gilmaraks Thron, würde mich lieber ausliefern, als sich Alathaia zur Feindin zu machen.
Also floh ich weiter. Ich wählte das verbrannte Land als mein Ziel. Dort gab es keine Albenpfade, und in der Höhle, die meinem Klan hin und wieder als heimliche Zuflucht diente, war es unmöglich, Magie zu wirken. Ich glaubte, hier würde ich sicher sein.
Mit wunden Füßen erreichte ich die Zuflucht. Alathaia kam nicht einmal einen Tag später hier an. Ich saß am Eingang der Höhle, als ich die Reiter in der Ferne sah. Und ich wusste, dass ich ihnen nicht mehr davonlaufen konnte. Sie würden mich in jedem Versteck hier im Tal aufspüren. Und der nächste Albenstern war mehr als fünfzig Meilen entfernt. Ich saß in der Falle.
Als wir zum ersten Mal zu dieser Höhle kamen, schichteten wir über dem Eingang Felsbrocken und Geröll auf. Das war Gromjans Einfall gewesen. Er hatte in der Höhle Vorräte angelegt. Sollte es ein Anzeichen für Feinde geben, wollten wir den Eingang verschütten, sodass man ihn nicht so leicht finden konnte. Ein ganzer Klan hätte die Kraft gehabt, sich nach ein paar Tagen wieder zu befreien. Mit einem Feind wie Alathaia hatten wir nicht gerechnet.
Ich war in Panik, als ich die Reiter sah. Ich löste den Steinschlag aus, ohne darüber nachzudenken, dass ich mich damit lebendig begrub, sollte Alathaia mich nicht finden.
Hätte ich den Deckel des Kästchens nicht öffnen sollen? Ich glaube, das hätte nichts geändert. Ich war von der Stunde an verflucht, in der meine Mutter die Hand danach ausstreckte. Allerdings hat mich sehr verwirrt, was ich darin sah. Drei einfache graue Steine, wie es sie im verbrannten Land zu Millionen gibt. So viel Blut und Leid für drei Steine! Ich kann es auch jetzt noch nicht fassen! Ein Märchen ist der letzte Strohhalm, an den ich mich klammere, um all den Morden einen Sinn zu geben.
Wir Lutin sind Diebe, das bestreite ich nicht. Natürlich kennen wir deshalb alle Geschichten über Schätze und alle Märchen, in denen es um Schätze geht. Wir erzählen sie uns, wenn wir abends an den Feuern aus Echsendung sitzen. Der kostbarste aller Schätze sind die Albensteine. Sie bergen unglaubliche magische Macht. Jedes der Völker, die von den Alben erschaffen wurden, erhielt nur einen einzigen. Viele der Steine gingen verloren, besonders im Drachenkrieg.
Fast genauso selten sind die Karfunkelsteine. Aber im Gegensatz zu den Albensteinen hat niemand, dem ich je begegnet bin, einen Karfunkelstein gesehen. In den Märchen heißt es, sie seien so unscheinbar wie die Steine am Wegrand. Wenn sie verloren gehen, dann kann man sie kaum wiederfinden, denn ihnen wohnt keine Magie inne, die einem der Völker Albenmarks vertraut wäre. Ein Karfunkelstein entsteht, wenn ein Drache stirbt. Sein Lebenswille,
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