Elfenlied
seine Essenz, alles, was ihn ausmacht, zieht sich zusammen. Und wenn er tot ist, dann findet man in seinem Herzen einen unscheinbaren Stein. Waren es Karfunkelsteine, die Alathaia gesammelt hatte? Wozu? Ich werde es nicht erfahren.
Ich höre das Knirschen von Brechstangen. Es ist vorüber. Das Einzige, was mich tröstet, ist der Gedanke daran, wie enttäuscht Alathaia sein wird, wenn sie das Kästchen öffnet. Die Steine sind nicht mehr darin. Sie sind auch nicht in der Höhle. Sie sind dort verborgen, wo Blätter, die der Wind nie davontrug, vom letzten Zeugnis einer alten Liebe behütet werden. Ich werde dieses Büchlein nun in Öltuch einwickeln, damit das Wasser ihm nichts anhaben kann. Ich hoffe, es wird aus diesem Berg hinausgespült werden und nicht für immer in einer finsteren Höhle begraben sein, so wie ich. Dann werde ich mein Häutermesser nehmen und mir die Zunge abschneiden. Von mir wird Alathaia nicht erfahren, wo ihr Schatz verborgen liegt.
MONDBLÜTES BLATTLYRIK
ERLÄUTERUNGEN ZUR HERAUSGABETECHNIK
Die Schriftzeichen von Mondblütes Blattlyrik sind folgendermaßen angeordnet: Ausgehend vom Blattgrund, werden rechts und links neben der Hauptader des Blatts je vier Zwischenräume, die von den Nebenadern gebildet werden, mit einem Wort oder mehreren kleinen Wörtern gefüllt. In vereinfachter Form kann man sich das etwa so vorstellen:
Die Schwierigkeit beim Zusammenstellen der Wörter und Wortgruppen zu einem Gedicht ergibt sich daraus, dass es keine festgelegte Reihenfolge gibt, in der sie nacheinander zu lesen sind. In den meisten Fällen empfiehlt es sich, am Blattgrund mit dem Lesen zu beginnen. Dann aber kann man mit oder gegen den Uhrzeigersinn die Wörter aneinanderreihen, sie paarweise von unten nach oben betrachten oder sie mäanderförmig durch das Blatt fließen lassen. Schon auf diese Weise ergeben sich zwölf unterschiedliche Reihenfolgen, wobei mir zweifelhaft erscheint, dass nur eine Lesart als die richtige anzusehen ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die Originale weder Groß – und Kleinschreibung noch Zeichensetzung verwenden.
Das Prinzip kann am Beispiel des ersten Gedichts demonstriert werden. Im vorliegenden Fall liegt dabei der glückliche Umstand vor, dass es sich hier bekanntermaßen um das Auftaktgedicht handelt, sozusagen um die Initiation Mondblütes in ihre lyrischen Fähigkeiten, die in beinahe hundert kleinen Liedern von ihrem Leben zeugen. Die gewohnten Formen der Groß – und Kleinschreibung sowie der Zeichensetzung werden hier verwendet, um es auch dem interessierten Laien zu ermöglichen, einen Eindruck von der Kraft und Schönheit dieser Lyrik zu gewinnen.
Die einzelnen Wörter und Wörtergruppen sind nummeriert, um den Beispielen besser folgen zu können. Dabei geben die Ziffern keine Reihenfolge oder Struktur auf den Blättern vor, sondern dienen allein zur Veranschaulichung. Anschließend werden zwölf Kombinationen vorgestellt, die geometrischen Mustern folgen:
Fügt man die Varianten zu kurzen Gedichten zusammen, so ergeben sich außer der Grundform durchaus noch andere denkbare Varianten:
I
Tau ist Spiegel
deiner Flügel;
tausend Farben
wispernd warben.
II
Spiegel ist Tau,
Flügel deiner Farben,
tausend warben wispernd.
III
Tau ist deiner tausend,
wispernd warben Farben Flügelspiegel.
IV
Tau ist deiner tausend,
wispernd Spiegelflügel
Farben warben.
V
Spiegelflügelfarben
warben wispernd:
»Tausend deiner ist Tau.«
VI
Spiegelflügel warben Farben,
Tau ist deiner tausend wispernd.
VII
Tau ist Flügel.
Tausend warben wispernd
Farben deiner Spiegel.
VIII
»Spiegel deiner Farben,«
wispernd warben tausend:
»Flügel ist Tau.«
IX
Tau ist Spiegelflügel deiner,
tausend Farben warben
wispernd.
X
»Spiegel ist Tau
deiner Flügelfarben,«
tausend wispernd
warben.
XI
Tau ist Spiegel
deiner Farben,
warben wispernd
tausend Flügel.
XII
Spiegel ist Tauflügel,
tausend warben
wispernd
Farben deiner.
Es ist schwer zu entscheiden, ob überhaupt Varianten beabsichtigt sind; wenigstens die eine oder andere wäre durchaus zu erwägen. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass sich unserem Verständnis womöglich nicht erschließt, was für Auenfeen durchaus eine kommunizierbare Botschaft war. Es bleibt also in Betracht zu ziehen, dass manche Gedichtversion einen für uns entsunkenen Sinn enthält.
Die Herausgabe der Gedichte geht durch Groß – und Kleinschreibung sowie Interpunktion durchaus
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