Elfenlied
verändert. Am Tag nach der Thronbesteigung Gilmaraks ließ er sich seltsame Schulterstücke mit goldenen Fransen auf seinen alten Ledermantel nähen. Der lang währende Kampf hatte ihn gezeichnet. Er war grau um die Schnauze geworden. In seinem Blick lagen Strenge und Entschlossenheit. Ständig redete er davon, dass die größte Schlacht noch zu schlagen sei. Er wollte all den ungesühnten Verbrechen der Elfen nachspüren und die Sklavenvölker der Kobolde Freiheit lehren.
Ich war zu müde, ihm auf diesem Weg zu folgen. Ich zog mich zurück und holte Mondblütes Blattgedichte aus dem Versteck unter dem großen Stein bei der Fauneneiche. Zwei Wochen verbrachte ich damit, die Eichenblätter auf Papier zu kleben und zu übersetzen, so gut ich es vermochte. Ich wollte damit zum Schwarzen gehen, damit er sie als kleines Büchlein herausgab. Soweit ich weiß, war noch nie ein Band mit Blattgedichten gedruckt worden.
Mondblütes Geschichte weckte die Erinnerungen an meine eigene Kindheit. Ich dachte oft an meine Mutter. Und ich empfand tiefen Schmerz darüber, dass ich das Einzige verloren hatte, was mir von ihr geblieben war: die bestickte Tasche, die sie immer bei sich getragen hatte. Sie war hier auf Burg Elfenlicht zurückgeblieben, als Gromjan mich so überstürzt zu meinem Klan gebracht hatte.
Für gewöhnlich warfen die Elfen nichts fort. So begann ich mit der Suche nach der Tasche. Sicher hätte Alvias mir helfen können, aber er hatte mit allen anderen Elfen die Burg verlassen. Mit ihnen waren auch erstaunlich viele Kobolde gegangen. Und jene, die noch hier verblieben waren, waren nicht gut auf Lutin zu sprechen. Sie trauerten unverhohlen Emerelle nach, was gewiss auch daran lag, dass es zu einigen unschönen Zwischenfällen mit hungrigen Trollen gekommen war.
So war ich also wieder einmal auf mich allein gestellt. Ich durchstöberte Keller, Dachkammern und Lagerräume. Ich entdeckte verborgene Gewölbe und unermessliche Schätze. Nur das, was ich suchte, fand ich nicht. Zuletzt entschloss ich mich, jenen Ort aufzusuchen, an dem ich als Kind wunderbare Stunden verbracht hatte, bei meinem zweiten Aufenthalt auf Burg Elfenlicht aber nicht mehr willkommen war. Ich stieg hoch hinauf in den Turm, der den Thronsaal überragte. Dort unter dem Dach war Emerelles Schlafgemach. Hier hatte immer nur eine Handvoll engster Vertrauter Zutritt gehabt.
Ihr Schlafgemach duftete nach Vanille, Rosenöl und Pfirsichen. Ich wagte nichts anzurühren und sah mich aufmerksam um. Ich wusste, dass die Tasche nicht hier sein würde, wenn Emerelle sie behalten hatte. Gedankenverloren dachte ich an meine Kindheit zurück. Sie hatte mich neben sich auf ihrem Bett sitzen lassen und mir Geschichten erzählt.
Elija hatte einmal ein Pamphlet über das Falrach-Spiel verfasst, jenes Brettspiel, mit dem viele Elfen unzählige Stunden verbrachten, während andere für sie arbeiteten. Ein Absatz aus dieser Streitschrift kam mir wieder in den Sinn: Ich traf Elfenfürsten, für die ist das Leben ein Falrach-Spiel. Wir, ihre Untertanen, sind nichts als Spielfiguren, die man nach Belieben auf dem Brett hin und her rückt oder sogar opfert, wenn man sich einen Vorteil damit verschafft.
Gromjan hatte mir gesagt, dass Elfen nichts ohne Hintergedanken taten. Was war ich für Emerelle gewesen? Ein einsames Lutinkind ohne Mutter, das Wärme und Zuneigung brauchte? Oder eine Falrach-Figur in einem Spiel, das zu groß war, als dass ich es verstehen könnte?
Ich trat an den großen Ankleidespiegel gegenüber dem Bett. Emerelle hatte mir damals erklärt, es gebe nicht einmal fünf Albenkinder, die um sein Geheimnis wüssten. Ohne Mühe vermochte ich ihn zurückgleiten zu lassen und trat in die Kleiderkammer der Königin. Hierhin hatte sie sich zurückgezogen, wenn sie von niemandem gefunden werden wollte.
Als Kind war mir diese verborgene Kammer geradezu unglaublich erschienen. Und ich hatte das Gefühl gehabt, sie sei von unsichtbaren Geschöpfen bevölkert.
Es roch noch immer wie damals, nach Räucherwerk. Die Kleiderkammer folgte der Krümmung der Außenmauer des Turms. Auf Kleiderpuppen aus Weidenruten und Walbarten waren Emerelles intimste Schätze zu bewundern, die Kleider ihrer jahrhundertelangen Herrschaft. Am hintersten Ende sah ich jenes weiße Kleid, das sie auf dem Begräbnis Falrachs getragen hatte. Seitdem hatte sie es nicht mehr berührt. Seine Magie bewahrte es vor so banalen Dingen wie Motten, Spinnweben oder Staub. Es sah noch immer aus,
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