Elfenlord
das Charno verständnislos an, dann fiel es ihr wieder ein. »Oh, der Kriegshammer! Ja, natürlich.« Der Purlisa hatte darauf bestanden, dass ein Hammer die einzig effektive Waffe gegen die Midgardschlange war, und der Abt hatte einen antiken Hammer hervorgeholt, der sich in zahllosen uralten Kriegen bewährt hatte. Es war seltsam, dass so etwas in einem Kloster aufbewahrt wurde, und noch ein Grund mehr dafür, warum sie die ganze Geschichte so misstrauisch machte.
»Kannst du nicht selber tragen«, sagte das Charno.
»Natürlich kann ich das«, sagte Blue zu ihm.
»Schon versucht?«
Genau genommen hatte sie das nicht. Der Abt oder seine Mönche oder irgendjemand hatten das Charno beladen. Sie hatte höchstens mal einen Blick auf den Hammer geworfen. Er sah tatsächlich ziemlich groß aus, aber Blue war davon ausgegangen, dass man ihr für den Kampf gegen irgendein Monster nicht etwas geben würde, das sie gar nicht heben konnte.
Plötzlich begriff sie, wie wahnsinnig das Ganze hier war. Wenn da wirklich eine Schlange in dem Berg war, dann war sie gerade dabei, sich ihr wie ein mythischer Krieger zu stellen – nur mit antikem Kriegsgerät bewaffnet, das ihr von Männern überreicht worden war, die sie gerade erst kennengelernt hatte. Aber sie war weder ein mythischer Krieger, noch war sie überhaupt ein Krieger. Sie war nur eine Prinzessin – sie sah sich immer noch als Prinzessin, auch wenn sie längst Kaiserin war –, und in den Mythen war es die Prinzessin, die befreit wurde, nicht andersherum.
Dann wurden ihr plötzlich zwei Dinge klar. Erstens glaubte sie der Geschichte des Purlisa über die Schlange nicht so ganz, auch wenn sie den kleinen Mann sehrmochte. Zweitens würde sie alles für Henry tun, wirklich alles. Sie würde für ihn sogar mit einer Schlange kämpfen, wenn da wirklich eine Schlange war. Sie würde für ihn eine Wüste durchqueren. Sie würde jedem Hinweis, auch dem geringsten, folgen, in der Hoffnung, ihn zu finden. Das musste dann doch Liebe sein, oder?
»Nein, habe ich nicht«, sagte sie, um die Frage des Charnos zu beantworten.
Das Charno griff hinter sich und öffnete den Haken an seinem Rucksack. Es holte ein sperriges Bündel hervor, faltete die Leinenhüllen auseinander und holte den Kriegshammer heraus, den der Abt ihr gegeben hatte. Es war eine schwere Waffe mit einem kunstvoll verzierten Eichengriff und zahllosen Kerben, die von alten Schlachten herrührten. Das Charno reichte ihn ihr.
Blue griff nach der Waffe und ließ sie sofort zu Boden fallen. Das Ding wog eine Tonne! Obwohl das Charno damit hantierte, als wäre sie eine Feder, war Blue außerstande, sie auch nur zu heben.
»Siehst du?«, sagte das Charno.
Blue kochte vor Wut, die überhaupt nichts mit dem Charno zu tun hatte, aber sie ließ sie trotzdem an ihm aus. »Was soll denn das?«, fragte sie. »Was soll das, mir eine Waffe zu geben, die ich nicht benutzen kann? Wollen die mich umbringen?«
Es war eine rhetorische Frage, aber das Charno sagte trocken: »Hab dir gesagt, die linken dich.«
Sie hielt plötzlich inne. Zum ersten Mal dämmerte es ihr, dass das, was Eins gesagt hatte, vielleicht doch wahr sein könnte. Nicht in einer fröhlichen, komischen Weise, sondern ganz wörtlich, ernsthaft, so, dass sie wirklich in Gefahr geraten konnte. Sie mochte den Abt, sie mochte den Purlisa, und ihr ganzer Instinkt riet ihr, ihnen zu vertrauen. Aber war nicht genau das der Kern des Problems? Man
musste
liebenswert sein, wenn man Leute betrügen wollte. Niemand würde einem verschlagen dreinschauendenHalunken trauen. Hatten sich der Purlisa und der Abt verschworen, um sie in den Tod zu schicken?
Und wenn ja:
warum
?
»Warum?« Blue stellte die Frage laut.
»Was weiß ich«, sagte das Charno mit einem Achselzucken.
Stirnrunzelnd sagte Blue: »Aber sie müssen doch gewusst haben, dass ich merken würde, wie sinnlos die Waffe für mich ist.«
»Solltest das erst merken, wenn du in der Höhle bist.«
Blue sah es an. »Wenn es zu spät wäre?«
Das Charno nickte. »Ja.«
»Du hättest den Hammer getragen und ihn mir gereicht, wenn ich der Schlange gegenübergestanden hätte?«
»Ja.«
»Und warum hast du es jetzt anders entschieden?«
»So loyal bin ich auch wieder nicht«, sagte das Charno. »Schlangen fressen Charnos.«
Das ergab durchaus einen Sinn, andererseits auch wieder nicht. Warum sollten der Abt und der Purlisa ihr den Tod wünschen? Sie hatten sich am gestrigen Tag zum ersten Mal gesehen.
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