Elfenmeer: Roman (German Edition)
bewahrt, Euch in die Hände zu fallen«, sagte sie, sich seiner Nähe auf verstörende Weise bewusst. Es kam selten vor, dass sie berührt wurde. Hin und wieder gab ihr Vetter Ardemir ihr einen Kuss auf die Wange, doch ansonsten hielten alle Abstand. Sie war die Königin und wusste schon fast gar nicht mehr, wie sich körperliche Nähe anfühlte. Umso erstaunlicher war es, seinen Körper beinahe überall auf ihrer Haut zu spüren.
»Ich will Euch nicht verletzen«, sagte der Fürst, so leise, dass sie ihn kaum hören konnte. »Ich will Euch doch nur die Augen öffnen. Ich weiß, dass Euch das Leid nicht unberührt lässt. Ich weiß, dass Ihr uns verstehen werdet.«
Liadan atmete tief durch. Sie musste klar denken, musste diese sonderbaren Gefühle beiseiteschieben. Sie hatte Körperkontakt, daran war nichts Weltbewegendes. »Ihr wisst nichts über mich.« Sie kämpfte gegen das enge Gefühl in ihrer Brust an. »Gebt mich frei.« Ihre Worte waren kaum mehr als ein Flüstern in den Wind, doch der Korallenfürst ließ seine Hände sinken. Als sie sich zu ihm umdrehte, ruhte sein Blick auf ihr, als bräche in diesem Moment nicht gerade seine Vernichtung über ihn herein. Mit jedem Herzschlag, den er verharrte, kam die Flotte näher.
»Gebt mich frei«, wiederholte Liadan und hielt seinem Silberaugenblick stand. Beide wussten, dass sie diesmal nicht von seiner Umarmung sprach.
Der Korallenfürst sah sie ausdruckslos an. »Das kann ich nicht.«
»Wieso?«
»Ihr seid meine letzte Hoffnung.«
Seine schmucklose Hand hob sich an ihre Wange, doch obwohl Liadan zurückweichen wollte, regte sie sich nicht. Sie wusste nicht, was geschehen würde, und das machte sie fastwahnsinnig vor Angst, gleichzeitig war sie aber auch von Neugierde erfüllt. Die Situation war absurd.
Sie verspürte ein leises Brennen, als seine Fingerspitzen ihre Verletzung berührten, und Liadan beobachtete, wie sich seine Züge verhärteten.
»Dies wird nicht ungestraft bleiben.« Er ließ seinen Blick über sie wandern, vom abgeschnittenen Haar über die Verletzung an der Wange bis hinunter zum zerrissenen Kleid. Dann trat er einen Schritt zurück. »Heiler werden sich sofort um Euch kümmern und sicherstellen, dass Ihr während des Kampfes unbeschadet bleibt.«
»Ihr meint, sicherstellen, dass ich nicht fliehe.«
Der Korallenfürst nickte. »So lange, bis ich diese Flotte vernichtet habe.«
Marinel
Valuar rannte an ihr vorbei die Treppe aufs Quarterdeck hinauf und fuchtelte mit den Armen. »Nicht auf die Freiheit !«, rief er gegen das Donnern der Kanonen. »Zielt auf die anderen Schiffe! Nicht auf die Freiheit !«
Marinel folgte ihm und hielt sich zu beiden Seiten am Geländer fest, um die Stufen schneller nehmen zu können. So sehr sie Valuar auch verabscheute, er hatte recht. Die Freiheit musste unbeschadet bleiben, und dass der Geschützmeister und der Kapitän nicht von selbst darauf kamen, gab ihr zu denken.
»Hört sofort auf!«, brüllte Valuar den Geschützmeister an. »Ihr gefährdet …« Seine weiteren Worte gingen im Donner der Kanonen unter, und so hielt Marinel sich nicht weiter mit den beiden auf. Stattdessen rannte sie direkt zum Kapitän am Steuerrad. »Die Königin befindet sich auf der Freiheit !«, rief sie und deutete auf das prächtige Segelschiff, dem sie sich gerade näherten. Es war flankiert von zwei weiteren Schiffen, doch Marinel wusste, dass irgendwo noch eines war. Denn die Gerüchte entsprachen der Wahrheit: Eines der Piratenschiffe war dazu in der Lage, sich unsichtbar zu machen.
»Ihr könntet die Königin verletzen!«
Der Kapitän warf ihr einen kurzen Blick aus hellen, fast weißen Augen zu. Seine Augenbrauen waren zu solch einer dünnen Linie gezupft, dass sie wie aufgemalt aussahen.
»Kapitän!« Marinel ballte die Hände zu Fäusten, um denDrang niederzukämpfen, den Mann zu schütteln. »Der Schrot, den Ihr hier abschießen lasst, könnte die Königin in Stücke reißen!«
Erneut schwieg der Kapitän, und so sah Marinel sich hilfesuchend an Bord um. Die Mannschaft schöpfte mit einer Kelle Metall- und Kristallsplitter aus Fässern und belud damit die Kanonen, um die Freiheit des Korallenfürsten zu beschießen. Wie sollte sie verhindern, dass sie die Königin in Gefahr brachten? Die Hammer , auf der sie sich befand, war das am stärksten gerüstete Schiff der Flotte und diente dazu, die anderen Piratenkapitäne auszuschalten. Nicht jedoch, um den Korallenfürsten anzugreifen!
Ihr Blick glitt zur
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