Elfenmeer: Roman (German Edition)
Silhouette des Feindes näher kommen sah, verdrängte sie ihreBenommenheit und rutschte zurück. Jegliche Stärke war von ihr gewichen. Angst überlagerte ihre Kraft von vorhin, und plötzlich waren all ihre Instinkte nur noch auf Flucht ausgerichtet. Was sollte sie jetzt tun?
Auf den Ellbogen schob sie sich weiter von dem Elfen fort, der hämisch grinsend auf sie hinabblickte. Mit seinem Stiefel trat er auf ihr Kleid, das mit einem lauten Ratsch zerriss. Ihr Herzschlag vibrierte in ihrer Schläfe und war derart beherrschend, dass sie kaum noch etwas anderes als dieses Pochen wahrnahm.
»Der Korallenfürst will Euch lebend«, sagte der Elf und zog seinen Säbel. »Er hat jedoch nichts von unversehrt gesagt.«
Liadan schnappte nach Luft und versuchte sich aufzurichten. Doch der Elf hielt sofort die Klinge gegen ihre Brust, was sie innehalten ließ. Um Atem ringend starrte sie in sein wutverzerrtes Antlitz, das von strähnigem aschfarbenem Haar umrahmt wurde. Seine Augen wirkten schwarz wie die Tore in eine finstere Geisterwelt. »Das Schwert wolltet Ihr haben?« Er drückte die Spitze gegen ihren Körper, bis sie flach auf dem Rücken lag und den Atem anhielt, um sich beim Heben und Senken ihrer Brust nicht selbst aufzuspießen. Dann kniete er mit einem Bein über ihr nieder und ließ die Klinge leicht über ihren Hals fahren. »Ihr sollt das Schwert bekommen.«
Ein Blitzen ließ sie die Augen zusammenkneifen, und im nächsten Augenblick schoss ein scharfes Brennen durch ihre Wange.
Liadan schrie auf, und ihre Hand flog an die schmerzende Stelle. Sie war nass. Nass von Blut. Panisch riss sie die Augen wieder auf, und ein Wimmern drang aus ihrer Kehle, als er sie an den Haaren packte und ihren Kopf hochzog.
»Wenn Ihr die Gelegenheit dazu gehabt hättet, so hättet Ihrmich getötet«, knurrte er und brachte sein Gesicht knapp vor das ihrige. »Einzig und allein, weil ich meine Befehle befolge.« Er schnalzte bedauernd und schüttelte den Kopf. »Dafür werdet Ihr bezahlen.«
»Bitte …« Sie verfluchte sich für ihre Schwäche und dafür, dass sie sich niemals im Kampf geübt hatte, verfluchte den Korallenfürsten und alle Piraten. Sie war eine Königin! Sie sollte nicht winselnd auf dem feuchten Boden liegen und um Gnade flehen!
»Bitte?«, wiederholte der Elf, und plötzlich nahmen seine Augen ein verschwommenes Grau an – eine magische Veränderung, der ein plötzlicher Windstoß folgte. Die Hängematten flatterten wild umher. »Ist es das, was Eure Opfer zuletzt sagen? Die Menschen? Die Elfen, denen Ihr die Magie raubt? Welches Herz wollt Ihr damit erweichen – Königin der Sklaven.«
»Ich werde dieses Land befreien.« Ihre Stimme zitterte, doch es gelang ihr, dem Blick des Mannes standzuhalten. »Ich werde es befreien.«
Ein Schnauben schlug ihr ins Gesicht. »Ach, werdet Ihr das?« Er kam ihr so nah, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. »Wie wollt Ihr Euer Land befreien, wenn Ihr Euch noch nicht einmal selbst befreien könnt?«
Im nächsten Moment packte er sie an den Schultern und drehte sie auf den Bauch. Sein Knie grub sich in ihren Rücken, und Liadan schrie. Sie spürte, wie er ihr Haar zusammenfasste, und aus den Augenwinkeln erkannte sie, dass er nach seinem Säbel griff. Etwas in ihr wusste, dass er sie nicht töten würde, und doch verspürte sie Todesangst. Sie schrie, aber die Wellen, die gegen den Schiffskörper schlugen, und die Schritte und Rufe über ihr waren lauter. Liadan erschien es, als wäre sie unter Wasser getaucht, und versuchte, durch einen Ozean hindurchum Hilfe zu rufen. Niemand befand sich hier unten, alle waren hochgelaufen, um dem Feind zu begegnen.
Ein Reißen an ihrer Kopfhaut verriet ihr, dass er ihr die Ketten aus dem Haar zerrte, von denen eine über ihre Stirn verlief. Im nächsten Moment erhöhte sich der Druck, als er an ihrem zusammengefassten Haar zog. Der Schmerz ließ aber sofort wieder nach. Liadan erstarrte, als sie begriff, was dies bedeutete. Er hatte ihr Haar abgeschnitten!
»Nun nicht mehr gar so überheblich, was?« Er drehte sie zurück auf den Rücken, und Liadan sah sich nach einer Waffe um. Lass mich entkommen, flehte sie stumm, und plötzlich flackerte das Bild des Weißen Ritters vor ihr auf, der sie aus den Fängen der Sonnentaler Fürsten befreit hatte. Wie ein Blitz war er zwischen die Feinde gefahren und hatte alle niedergestreckt, nur um sie zu retten. Doch er war tot …
»Was ist noch übrig?«, fragte der Fremde und
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