Elfennacht 01. Die siebte Tochter
einsetzen konnte. Aber wer?
Oberon wüsste es. Er verfügte über Mystische Kräfte. Tania erinnerte sich noch lebhaft daran, wie er den Himmel mittels einer einzigen Geste zum Leben erweckt und wie er all die Kerzen beim Ball entzündet hatte. Auch Gabriel hatte Mystische Kräfte. Und Ede n – ihre sonderbare, einsiedlerische Schwester. Was hatte Sancha noch mal gesagt? Dass Eden in den Mystischen Künsten gleich an zweiter Stelle nach Oberon gekommen war, bevor sie sich in ihren efeuüberwucherten Turm zurückgezogen hatte. Auch wenn Tania nicht wirklich wusste, was man unter den Mystischen Künsten genau verstand.
Gabriel konnte sie jedenfalls nicht um Hilfe bitten. Er hatte ihr recht unmissverständlich klargemacht, dass er nicht wollte, dass sie in die Welt der Sterblichen zurückkehrte. Und Oberon würde sicher genauso denken.
Doch was war mit Eden? Ob sie ihr helfen konnte?
Denn vielleicht gab es sogar eine Möglichkeit, dass sie den Übergang in beide Welten hinein und wieder hinaus willentlich kontrollieren konnte. Bei dem Gedanken musste Tania lächeln. Vormittags in Londo n – nachmittags im Elfenreich. Sommer in der Welt der Sterbliche n – Winter im Reich der Unsterblichen. Nicht schlecht!
Sie zog ihr Nachthemd an, dann ging sie im Zimmer herum und blies die Kerzen aus. Jetzt spendeten nur noch die Sterne am Nachthimmel etwas Licht.
Sie legte Gabriels rote Rose auf das Nachttischchen, krabbelte ins Bett und zog sich die Decke bis zum Kinn.
Gleich in der Früh würde sie zu Edens Gemächern gehen und sie um Hilfe bitten.
Hoffentlich verstand ihre Schwester, wie wichtig es für sie war, in die Welt der Sterblichen zu gelangen und mit ihren Eltern zu sprechen. Wenn Tania versprach, ins Elfenreich zurückzukehren, konnte Eden aber eigentlich nichts dagegen haben.
Die Sonne hatte sich noch nicht mal über die östlichen Türme und Zinnen erhoben, als Tania schon aus dem Zimmer schlich und sich auf die Suche nach ihrer ältesten Schwester machte.
Die Morgenkühle dämpfte ihren Mut zunächst, aber sie wollte nicht umkehren, ohne es wenigstens versucht zu haben. Sie wusste, dass Zara und all die anderen Vorbehalte gegenüber ihrer älteren Schwester hatten, aber Tania wollte Eden treffen und sich ihre eigene Meinung bilden. Sie sah keinen Grund, warum Eden sich weniger als die anderen freuen sollte, sie zu sehen, und Tania wiederum hatte keinen Grund, Angst vor ihr zu haben.
Sie schaffte es, sich zweimal auf dem Weg zu verirren, bevor sie endlich in den großen kopfsteingepflasterten Hof mit dem Steinbrunnen in der Mitte hinaustrat. Der efeuumwucherte Turm ragte vor ihr auf und sah im trüben Licht kurz vor der Morgendämmerung sogar noch düsterer und abweisender aus als sonst.
Tania fröstelte. Von dem Turm ging etwas Unheimliches aus, was ihr die Nackenhaare aufstellte.
Sie richtete sich auf, ging über das Kopfsteinpflaster und stieg die drei Stufen zu der breiten schwarzen Tür hinauf. Dort blickte sie sich nach einer Art Klopfer um, fand aber nichts dergleichen und pochte mit der Faust gegen die Tür.
Es klang dumpf.
Dann fiel ihr noch etwas auf: Es gab auch keine Türklinke. Wie öffnete man von außen die Tür? Wenn Eden heraustrat, wie gelangte sie dann wieder hinein? Oder hieß das etwa, dass sie den Turm nie verließ? Tania hämmerte mit den Fingerknöcheln erneut gegen das schwarze Holz, diesmal klang es noch lauter.
Sie blies auf ihre schmerzenden Knöchel, während sie lauschte, ob drinnen vielleicht jemand kam.
Nein, nichts.
Was jetzt?
»Mist!« Nun trommelte sie mit beiden Fäusten gegen die Tür.
Mit einem Mal fuhr sie überrascht zusammen. Sie war sich sicher, dass die große Tür unter ihren Schlägen ganz leicht nachgegeben hatte. Tania stemmte sich mit der Schulter dagegen.
Lautlos schwang die Tür auf.
»Eden?«, rief sie. Ihre Stimme klang ängstlich. »Eden?«
Die Stille schien immer drückender und schwerer zu werden, während Tania in die enge kahle Diele trat. Zu ihrer Rechten befand sich ein schmaler Torbogen und dahinter sah Tania die ersten Stufen einer abgetretenen Wendeltreppe, die nach oben führte. Links befand sich eine Tür aus grobem grauem Holz.
Tania duckte sich unter den Treppenbogen und spähte in die Dunkelheit hinauf. Die Vorstellung, die Wendeltreppe im Dunkeln hinaufzusteigen, gefiel ihr ganz und gar nicht.
»E-e-e-den!« Ihre Stimme klang in der düsteren Atmosphäre halb erstickt.
Tania rieb sich wärmend die Hände und ging dann
Weitere Kostenlose Bücher