Elfennacht 01. Die siebte Tochter
Cornelius von Talebolion.« Sie sah Tania an. »Er ist unser Oheim, der jüngere Bruder unseres geliebten Vaters. Siehst du? Die Bücher stehen in der Rangfolg e – alle Mitglieder der königlichen Familie haben Seelenbücher, in denen ihre Lebensgeschichte erzählt wird. Deines war kurz nach deinem Übertritt in die Welt der Sterblichen verschwunden. Einige dachten, du hättest es mitgenommen, aber Rathina meinte, das wäre nicht der Fall.« Sancha runzelte die Stirn. »Ist das Buch zu dir gelangt, während du noch in der Welt der Sterblichen weiltest?«
Tania nickte.
»Aber du weißt nicht, von wem es kam?«
»Ich habe keine Ahnung«, gab Tania zu. »Ich habe schon ein bisschen darin gelesen, aber die Geschichte endet mit meinem Verschwinden, und es ist nirgends eine Erklärung zu finden, was genau passiert ist.«
»Jetzt, da das Buch wieder aufgetaucht ist, wird deine Lebensgeschichte weitererzählt werden », sagte Sancha.
»Bitte?«, sagte Tania. »Kannst du das noch mal wiederholen?«
Sancha sah sie blinzelnd an. »Das Buch gehört hierher. Jetzt, da es zurückgebracht wurde, werden neue Worte auf den Seiten erscheinen.«
»Ach ja?«, sagte Tania. »Wie das? Wer schreibt sie denn?«
»Das Buch schreibt sich selbst.«
»Du meinst also, die Geschichte wird jetzt, wo das Buch zurück ist, fortgesetzt?«, erkundigte sich Tania. »Das ist ja echt erstaunlich. Darf ich noch mal reingucken?«
Sancha nickte und deutete auf das Pult. »Leg es dort hin und du wirst sehen, was geschieht.«
Tania schlug das Buch auf dem Pult auf und blätterte bis zu der Stelle, wo ihre Lebensgeschichte bisher abrupt geendet hatte. »Oh, wow!« Sancha hatte Recht. Da stand bereits mehr als vorher.
Sie folgte mit dem Finger der neuen Schnörkelschrift, während sie laut las, was da stand.
»König Oberon und sein ganzes Königreich erfüllte große Freude über die Rückkehr von Prinzessin Tania nach den fünfhundert Jahren der Trauer«, trug sie vor. »Die trostlose Nacht verwandelte sich in herrlichsten Tag und alle waren lustig und vergnügt und kehrten dankbar zum Palast zurück, um die lange verschollene Prinzessin zu bewundern.«
Tania blätterte weiter. Sie brannte darauf herauszufinden, was zwischen ihrem Verschwinden aus dem Elfenreich und ihrer Geburt als Anita Palmer vor sechzehn Jahren geschehen war. Aber die letzten Seiten beschrieben lediglich die vergangenen Tage im Elfenreich.
Enttäuscht blätterte Tania wieder zum ursprünglichen Schluss zurück. »Da steht nichts darüber drin, was mit mir nach meinem Verschwinden passiert ist«, sagte sie. »Es fehlen fünfhundert Jahre!«
»Es könnte sein, dass nur aufgeschrieben wird, was in diesem Reich geschieht«, sagte Sancha.
»Das heißt ja, dass ich nicht weiß was in der Zwischenzeit in meiner Welt, ich meine, der Welt der Sterblichen passiert ist«, sagte Tania. »Na, toll!« Sie sah Sancha an. »Wie soll ich denn jemals herausfinden, wer ich bin, ohne zu wissen, was mit mir in den letzten fünfhundert Jahren gewesen ist?«, sagte sie niedergeschlagen. »Sancha, ich bin erst sechzehn, das beweist meine Geburtsurkunde. Das ergibt eine Differenz von vierhundertvierundachtzig Jahren, von denen ich nichts weiß. Gibt es nicht irgendeinen Weg herauszubekommen, was davor war?«
Sancha bedachte sie mit einem nervösen Blick. »Doch, es gibt vielleicht einen Weg.«
»Was muss ich tun?«
»Wenn du seelisch stark genug bist, kann ich vielleicht in Erfahrung bringen, was dir widerfahren ist«, sagte Sancha. »Doch es ist gefährlich.«
»Das Risiko gehe ich ein«, sagte Tania.
»Mag sein, doch ich bringe uns beide in Gefahr«, sagte Sancha.
»Oh.« Tania runzelte die Stirn. »Ist es wirklich so riskant?«
»Ja, fürwahr«, sagte Sancha. Ihre dunklen Augen blickten düster. »Das Seelenbuch gehört zwar ins Elfenreich, aber deine Seele ist zwischen diesem Reich und der Welt der Sterblichen gespalten. Es mag sein, dass ich mithilfe des Buches fähig bin, die zwei Hälften deiner Seele zusammenzubringen. Dann erfährst du vielleicht die verloren gegangenen Geheimnisse deiner sterblichen Vergangenheit.«
»Könnte ich es nicht allein probieren?«, wollte Tania wissen.
Sancha schüttelte den Kopf. »Nicht solange deine Seele gespalten ist«, sagte sie. »Doch ich werde dir helfen, Tania. Komm, nimm meine Hand und wir werden sehen, was geschieht.«
Sancha ergriff Tanias Hand, dann legte sie die andere Hand auf das Buch, ohne es anzusehen.
»Was auch geschieht, du
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