Elfennacht 01. Die siebte Tochter
dir erging, als du in die Welt der Sterblichen kamst. Du bist fast augenblicklich einer tödlichen Seuche zum Opfer gefallen.«
»Ich bin gestorben?«, fragte Tania schaudernd.
»Fürwahr. Denn als du in die Welt der Sterblichen kamst, wurdest du anfällig für alle Krankheiten dort.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Meine arme Schwester, ganz allein mit solchem Schmerz, solchem Schmerz!«
Tania drückte Sanchas Schultern. »Es ist alles in Ordnung, mir geht es ja gut«, sagte sie. »Aber wenn ich gestorben bi n … wie kommt es, dass ich noch hier bin?«
Sancha richtete sich auf und ergriff Tanias Hand. »Deine Seele wurde durch den Tod von deiner sterblichen Hülle befreit«, sagte sie. »Dann wartete deine Seele darauf, neu geboren zu werden. So ging es Baby für Baby, die lange währenden sterblichen Jahre hindurch. Wenn deine sterbliche Hülle einer Krankheit oder einem Missgeschick erlag, wurde deine Seele erneut freigesetzt, um wiedergeboren zu werden.«
Tania lehnte sich an die Wand. »Das muss ich erst mal verdauen«, sagte sie leise. »Im Prinzip habe ich also seit dem sechzehnten Jahrhundert auf die eine oder andere Weise gelebt.« Sie lachte heiser. »Wenn ich länger darüber nachdenken würde, könnte ich mir vermutlich ausrechnen, wie oft ich wiedergeboren wurde.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber das will ich lieber gar nicht so genau wissen. Da würde mir wahrscheinlich der Kopf platzen.«
»Ich wünschte, du könntest dich an all deine Leben erinnern«, sagte Sancha. »Ich würde sehr gern mehr über die Welt der Sterblichen erfahren, trotz all der Schrecken.«
»Heutzutage ist es dort gar nicht mehr so schlimm«, erzählte Tania ihr. »Woran auch immer ich beim ersten Mal gestorben bin, es wäre heute wahrscheinlich heilbar.« Sie sah ihre Schwester an. »Ich würde gern zurückgehen, wenigstens kurz, wenn ich wüsste, wie ich meine Gabe gezielt einsetzen kann«, gestand sie. »Ich möchte meine Eltern sehe n – meine sterblichen Eltern, meine ich.«
Sancha blickte sie verständnisvoll an. »Ich kann dir nicht helfen«, sagte sie sanft. »Und ich würde es auch nicht, selbst wenn ich es könnte. Du gehörst jetzt hierher. Keiner von uns würde riskieren, dich noch einmal zu verlieren.«
Tania nickt e – sie konnte nicht erwarten, dass irgendjemand hier verstand, warum sie in die Welt der Sterblichen zurückkehren wollte. Doch das würde sie nicht davon abhalten, es zu versuchen. Sie wollte ihre Eltern, die keine Ahnung hatten, wohin sie verschwunden oder ob sie überhaupt noch am Leben war, nicht unnötig leiden lassen. Tania musste einen Weg finden, zwischen den Welten hin- und herzuwandeln. Und vielleicht war es ja sogar das Beste, wenn sie ganz auf sich allein gestellt war.
Etwas später am selben Morgen standen Tania, Zara und Rathina auf den Zinnen über dem nördlichen Tor und sahen zu, wie Oberon mit fünfzig Lords und Ladys zu der langen, beschwerlichen Reise in Richtung Burg Ravensare aufbrach. Wimpel und Fahnen flatterten und die Pferde sahen prächtig aus. Hinter dem König und den höfischen Adligen ritten Junker und Kammerherren, einige führten schwer bepackte Ponys mit sich. Ganz am Ende des Zugs befanden sich zwei von Mauleseln gezogene Fuhrwerke mit Vorräten für die Reise und kostbaren Geschenken für die Grafen und Herzöge, die später an der Versammlung teilnehmen würden.
»Es ist ein Zweitagesritt«, erzählte Zara, über die Zinnen gebeugt. Sie winkte zu Pferd den Gestalten, die dem Weg folgten, der durch den Park in die hügelige Heidelandschaft führte. »Ich wünschte, Vater hätte mich mitgenommen: Es ist so eine aufregende Reise und am Ende der Reise wird es viele Festessen und Lustbarkeiten geben.« Ihre Augen leuchteten auf. »Oheim Cornelius wird mit seinen Söhnen dort sein, Titus und Corin. Sie sind so gut aussehend. Wahrlich, ich weiß nicht, welchen von beiden ich lieber mag.« Sie grinste Tania an. »Eine wirklich schwere Entscheidung!«
»Pfui, Zara!«, schimpfte Rathina. »Kannst du denn an nichts anderes denken als an solche Tändeleien?«
»Nie!«, lachte Zara. »Die Zusammenkunft auf Ravensare wird drei Tage dauern, und wenn Vater zurückkommt, bringt er hoffentlich die schönen Söhne von Marchioness mit!« Sie drehte eine Pirouette. »Ich werde ein neues Kleid brauchen. Tania, kommst du mit zu Mistress Mirrlees und hilfst mir, eines auszuwählen?«
»Ehrlich gesagt wollte ich etwas im Garten spazieren gehen«, sagte Tania. Sie
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