Elfennacht 01. Die siebte Tochter
Tania.
Rathinas Blick schien auf etwas hinter Tania gerichtet zu sein. Sie drehte sich um und sah, dass Edric hinter einer hölzernen Trennwand aufgetaucht war.
Tania erstarrte. »Was geht hier vor?«
»Er hat mich gebeten, dich hierherzubringen«, erklärte Rathina. »Du musst dir anhören, was er zu sagen hat.« Sie ging rückwärts hinaus und zog die Tür hinter sich zu. »Vergib mir, Tani a – es ist zu deinem Wohl.«
Die Tür fiel ins Schloss und der Riegel wurde von außen vorgelegt.
Fassungslos starrte Tania einen Moment lang auf die geschlossene Tür, bevor sie sich langsam zu Edric umdrehte.
»Und?«
Sie sah, wie er schluckte. »Ich will, dass du die Wahrheit erfährst«, begann er. »Du musst mir zuhören. Wenn du nicht glaubst, was ich sage, verspreche ich, dass ich dich nie mehr belästigen werde.« Er lächelte und legte eine Hand an die Wange. »Du kannst mich sogar noch einmal ohrfeigen, wenn es dir dann besser geh t – aber bitte, höre mich zuerst an.«
»Wenn ich mich recht erinnere, habe ich dir zu Hause ziemlich viel zugehört«, sagte sie eisig. »Jetzt habe ich deine Lügen satt.« Es ärgerte sie, dass ihre Stimme zitterte. Am liebsten wäre sie hinausgerannt, bevor sie in Tränen ausbrach.
Sie drehte sich auf dem Absatz um und lief zur Tür, eine Hand bereits nach dem Riegel ausgestreckt.
»Du bist noch immer meine Sonne!« Bei diesen Worten drehte sie sich zitternd um und blickte ihn wieder an. »Weißt du noch?«, sprach er weiter. »Romeo und Julia. Doch still, was schimmert durch das Fenster dort? Es ist der Ost und Julia ist meine Sonne!«
»Hör auf!«, fauchte Tania. »Sag das nicht.« Gegen ihren Willen kamen die alten Gefühle für ihn wieder hoch. »Sprich nicht so mit mi r – du hast mich doch von hinten bis vorne belogen!«
»Nein, das stimmt nicht«, sagte Edric und trat einen Schritt auf sie zu.
»Komm nicht näher!« Sie wich zurück.
Er blieb stehen. »Ich liebe dich.« Er sah sie flehend an. »Aber das war nicht vorgesehen. Ich wurde in deine Welt gesandt, um dich hierher zurückzubringen. Und ja, zuerst habe ich nur mit dir angebändelt, um Drakes Auftrag auszuführen. Doch als ich dich dann besser kennengelernt habe, wurde mir klar, dass mir seine Pläne nicht mehr wichtig ware n – ich wollte nur noch eins: mit dir zusammen sein.«
Sie starrte ihn sprachlos an. Sie konnte nicht glauben, dass er ihr so schamlos ins Gesicht log. »Du hast mein Leben zerstör t …«
»Ich weiß, dass du so denkst«, sagte er. »Und ich weiß, ich habe dir wehgetan. Aber an jenem Tag am Fluss wollte ich dir die Wahrheit sagen. Die ganze Wahrheit darüber, wer ich bin und wer du wirklich bist.«
Tania fiel ein, dass er gesagt hatte, er müsse ihr etwas Wichtiges mitteile n – sie war so nervös gewesen, weil sie glaubte, er würde ihr womöglich sagen, dass er sie liebe! Wie viel einfacher wäre das gewesen als die Wahrheit.
»Und dann«, sprach Edric weiter, »dann wollte ich dir auch die Wahrheit über Drake sagen.«
»Was meinst du damit? Was ist mit Gabriel?«
»Er hat dich nie geliebt«, sagte Edric und blickte sie eindringlich an. »Nicht heut e – und nicht damals, bevor du verschwunden bist. Er wollte dich immer nur heiraten, weil er deine Gabe wollte, in beiden Welten zu wandeln. All die Jahre suchte er nur einen Weg in die Welt der Sterblichen.« Er ging wieder auf sie zu und diesmal wich sie nicht zurück. »An dem Tag am Fluss– weißt du noch, was da geschah?«
Sie nickte.
»Kurz bevor wir den Unfall hatten«, drängte er. »Ist dir da irgendetwas auf dem Wasser aufgefallen? Irgendetwas Seltsames?«
Sie zwang sich, an jene Momente auf dem Boot zurückzudenken, als Edric verkündet hatte, ihr etwas Wichtiges sagen zu wollen. Plötzlich erinnerte sich wieder an den Schatten, der auf einmal über sie gefallen war. Evan hatte sich ganz erschrocken umgesehen. Die Angst stand ihm damals deutlich ins Gesicht geschrieben.
Sie hatte auf den Fluss geschaut un d … etwas bemerkt.
»Da war ein Boot neben uns«, flüsterte sie und sah wieder alles vor sich. »Ein großes Boot auf dem Wasser. Nein, kein Boo t – eine Barkasse. Ich habe sie nur ganz kurz gesehen, sie lag sehr tief im Wasser.« Tania riss die Augen auf. »Sie sah genauso aus wie die von Oberon.«
Und dann erinnerte sie sich auch wieder an die letzten Worte, die Evan vor dem Aufprall gerufen hatte.
»Nein! Er weiß, dass wir hier sind. Er wird dich mir wegnehmen!«
Sie hielt erschrocken den Atem
Weitere Kostenlose Bücher