Elfennacht 01. Die siebte Tochter
Arm um die Schultern. »Entweder erzählst du es sofort oder du musst bis in alle Ewigkeiten meine neugierigen Sticheleien ertragen. Du hast die Wahl.«
Tania sah Cordelia an. »Siehst du, was du angerichtet hast?«
»Du solltest besser alles gestehen«, sagte Sancha mit einem Lachen. »Zara ist unerbittlich, wenn sie Klatsch und Tratsch wittert.«
Tania schüttelte resigniert den Kopf. Schwestern! Das war ja schlimmer als in der Schule, anscheinend konnte niemand etwas für sich behalten.
»Handelt es sich um einen großen Skandal?«, fragte Zara vergnügt. »Hat er dir unschickliche Avancen gemacht? Vielleicht ein Kuss an einem lauschigen Ort? Oder gar Liebesschwüre bei einem mitternächtlichen Treffen?«
»Nein! Nichts dergleichen!«, gab Tania scharf zurück. »Also, wenn ihr’s denn unbedingt wissen wollt, mir hat nicht gefallen, auf welche Art und Weise er Gabriel geholfen hat, mich hierherzubringen.«
Sancha klappte ihr Buch zu und beugte sich interessiert vor. »Von welchen Handlungsweisen sprichst du?«
»Er hat mich angelogen«, sagte Tania. »Er hat mir gesag t … ach, ist ja auch egal, was er genau gesagt hat. Ich halte einfach nichts davon, das ist alles.«
»Er hat gelogen?«, wiederholte Sancha verwirrt. »Das verstehe ich nicht. Welche Unwahrheiten kann er geäußert haben?«
Zara sprang plötzlich auf. »Hat er dir etwa seine Liebe erklärt?«, fragte sie atemlos. »Und dann hat er dich mit leidenschaftlichen Worten übertölpelt, um dich aus der Welt der Sterblichen wegzulocken… Welch ein Schurke!«
Tania spürte, wie sie rot wurde. »Na ja«, murmelte sie. »So in etwa.« Sie schüttelte Zaras Arm ab und stand hastig auf. »Können wir jetzt bitte über etwas anderes reden?«
»Aber nein!«, rief Zara aus. »Ich muss alles von Master Chanticleers Niedertracht wisse n – bis ins kleinste Detail, sonst kann ich nicht ruhig schlafen!«
Tania sah sie an. Die arglose Neugier ihrer Schwester störte sie gar nicht so sehr, aber die Erinnerung an Edrics Verhalten tat immer noch zu we h – sie wollte nicht darüber reden.
»Dann, fürchte ich, wirst du wohl nächtelang wach liegen müssen«, sagte sie mit einem halben Lächeln. »Ich werde zu Rathina gehe n – sie macht sich wenigstens nicht über mich lustig.«
Cordelia sah sie an. »Sei nicht böse«, sagte sie. »Zara hat doch nur gescherzt.«
Tania lächelte. »Ja, das weiß ich doch«, sagte sie. »Ich bin auch nicht sauer.« Sie ging zur Tür. »Bis später, Leute.«
Sie stieg die lange Wendeltreppe hinab und freute sich darauf, Rathina zu sehen. Vielleicht wäre sie die Richtige, bei der sie sich ihre ganzen Ängste und Sorgen von der Seele reden könnt e – Tania würde die Freundschaft zu ihr gern wiederbeleben.
Vor Rathinas Zimmer angekommen klopfte sie an die Tür– doch es kam keine Antwort. Enttäuscht wollte sie wieder gehen, doch dann drückte sie die Klinke hinunter. Die Tür glitt geräuschlos auf. Der Raum dahinter war in ein dämmriges Rot getaucht und überall sah Tania düstere Schattenfiguren.
»Rathina?«, fragte Tania. Noch immer keine Reaktion. Sie trat über die Schwelle und blickte sich um. Die Decke und Wände waren mit Bahnen roter Seide behängt, die sich bauschten, als würde ein leichter Wind gehen, doch alle Fenster im Raum waren verschlossen. Das einzige Licht kam von einem großen Kronleuchter an der Decke und das Kerzenlicht verbreitete eine schaurig-sinnlich Atmosphäre.
Wo das Licht auf die Vorhänge fiel, schimmerte die Seide scharlachrot auf, während die Teile des Stoffs, die im Dunkeln lagen, weinrot waren.
Auch der Baldachin über Rathinas Bett bestand aus dunkelroter Seide und die Vorhänge waren am Kopfende zusammengebunden. Auch von den Möbeln hingen lange Bahnen aus Seide, die fließend auf die rötlich braunen Bodendielen herabfielen.
Tania bemerkte, dass sich dunkle Schatten über die Seidenbahnen bewegten: menschliche Gestalten, die in einem langsamen Tanz dahinglitten. Beim Anblick der dunklen, geisterhaften Umrisse schauderte Tania und die Nackenhärchen stellten sich ihr auf. Eine beunruhigende Atmosphäre herrschte in diesem Zimmer. Mit leichtem Unbehagen ging sie näher an die wogenden Seidenbahnen heran. Die Tänzer hielten sich an den Händen und glitten langsam mit gesenkten Köpfen über die Seide. Plötzlich hob eine der Gestalten den Kopf und blickte Tania kurz an: Das Gesicht war ausgemergelt und blass und die Augen lagen tief in den Höhlen. Die Gestalt streckte
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