Elfenschwestern
Namensgebung irgendwie System?“
„Oh ja, sie hat.“ Alistair grinste und führte Duchess aus ihrer Box. „Und einen Grund: Wir Yorks sind genau solche Snobs, wie du vermutest.“
Während Lily ihm folgte, dachte sie darüber nach, ob das wohl ein Scherz gewesen sein sollte oder nicht.
Sie nahmen nicht den Weg durch die Kastanienallee. Stattdessen lenkte Alistair seinen schwarzen Hengst vom Hof vor den Ställen direkt zu den Rasenflächen hinter Englefield Park. Duchess, sittsame Dame, die sie war, folgte ihm in gemessenem Tempo, genau wie Alistair es Lily versprochen hatte. Und auch wenn Lily, als sie sich auf den Rücken der grau in grau gescheckten Stute schwang, noch dachte: Himmel, wie hoch!, fühlte sie sich schon Momente später absolut sicher im Sattel. Sich den ruhigen Bewegungen des Apfelschimmels anzupassen, fiel ihr erstaunlich leicht.
„Du bist ein ganz großartiges Pferd“, teilte Lily ihrer Stute mit. Sie beugte sich ein wenig vor und klopfte Duchess’ Hals. Duchess wieherte, als habe sie jedes Wort verstanden. Ihr Atem stieg als Wolke in die kalte Luft empor, ihr Sattelzeug knarrte, aber ihre Hufe machten kaum Geräusche in dieser stillen Winterwelt. Lily lächelte glücklich und dachte daran, wie sehr sie sich gewünscht hatte, beim Ausritt im Schnee dabei zu sein.
Als Alistair sich im Sattel nach ihr umdrehte, begegneten sich ihre Blicke. Lily ließ ihr Lächeln dennoch nicht fallen. Es war das erste Lächeln, das sie dem jungen Earl schenkte, und sie schenkte es ihm gerne.
Sie folgten den verschneiten Wegen, die durch die Rasenflächen schnitten, sich trennten, bogen und wieder vereinten, passierten dabei in der Landschaft verteilte Skulpturen und zu kunstvollen Formen geschnittene Buchsbaumhecken, ließen den schwarzen Spiegel des Sees rechts liegen, einen schlafenden Rosengarten links und hielten auf den Wald zu.
Alistair hatte Recht gehabt: Es war die goldene Stunde. Der wolkenlose Himmel strahlte in diesem satten Indigo, das sich bald von den Rändern her verfärben würde. Sie hatten nicht viel Zeit, bis erst Zwielicht die blauen Schatten verschlucken würde und dann schwarze Nacht das Zwielicht. Aber Lily wollte jede Minute genießen.
Was hatte Alistair gesagt? Dass sie miteinander reden könnten auf ihrem Ausritt. Es schien nur so, als hätte keiner von ihnen das Bedürfnis nach Worten, seit sie hoch zu Ross unterwegs waren. Sie ritten einfach schweigend dahin. Lily lauschte auf den Schrei einer fernen Krähe und auf das Hecheln Baskervilles, der neben den Pferden hertrabte, roch wieder Holzfeuer und den nahen Wald. Und wusste instinktiv, dass Alistair dasselbe tat.
„Alistair“, rief Lily.
Der Fey ließ seinen Rappen zurückfallen, bis er neben Lily und Duchess durch den Schnee stapfte. „Das ist das erste Mal, dass du mich bei meinem Namen nennst“, sagte er.
„Wirklich?“ Lily tat überrascht. Dabei wusste sie, dass er Recht hatte. Sie wollte nur nicht, dass er der Tatsache Bedeutung beimaß, selbst wenn sie tatsächlich bedeutsam war: Lily würde jetzt zum ersten Mal ganz ohne Hintergedanken offen und ehrlich zu Alistair York sein. „Ich möchte so gerne ein wenig schneller reiten“, sagte sie. „Meinst du das ginge?“
Er lachte. Und sein Lachen klang hier draußen irgendwie freier, wilder. „Willst du den Wind jagen, Tigerlily?“
Ja, das wollte sie. Und sie las da in seinen schwarzen Augen, dass er verstand.
„Wir versuchen es“, versprach Alistair. „Duchess wird tun, was Prince tut. Und ich bleibe neben dir. Aber lass uns warten, bis wir Felder erreicht haben, ja?“
Lily nickte. Sie beobachtete, wie er wieder voranritt und den Waldrand erreichte, wie sein langer Körper, so schmal und doch so kraftvoll, sich zur Seite lehnte, um einem niedrig hängenden Ast auszuweichen. Lily folgte ihm zwischen die Bäume. Und fühlte sich sofort zu Hause.
Was war das nur mit den Wäldern, dass Lilys Herz ihnen so zuflog? Dieser hier ähnelte denen um Pipers Corner nicht einmal. Er war dichter und dunkler. Tannen und Fichten wuchsen himmelhoch, blendeten oben die Sonne aus und ließen zwischen ihren Kronen und Wurzeln ein diffuses Zwischenreich aus langen schlanken Stämmen im Zwielicht entstehen.
Lily atmete tief ein. Ein Winterwald im Frostschlaf roch weniger intensiv als Wälder zu jeder anderen Jahreszeit. Doch Lilys Nase kitzelten trotzdem Harz, Holz und Nadeln. Sie hörte Prince schnauben, als Baskerville krachend durch trockenes Brombeergestrüpp sprang.
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