Elfenschwestern
Sie spürte noch etwas anderes, konnte aber nicht näher bestimmen, was es war. Eine leichte Unruhe ergriff von ihr Besitz. Sie wollte Alistair gerade warnen, obwohl sie nicht wusste, vor was, da drehte er sich zu ihr um und rief: „Noch über die Brücke, dann sind wir da.“
Der Schmerz packte Lily ohne Vorwarnung. So etwas Ähnliches hatte sie doch zu Grayson gesagt vor … wie lange war das jetzt her? Acht Tage? Da ist der Fluss , hatte sie gesagt. Nur noch über die Brücke. Gleich ist es geschafft.
Oh Gott, Gray!, dachte Lily. Wir wissen immer noch nicht, wo du bist und wie es dir geht. Und da reite ich aus! Habe Spaß! Mit einem York!
Es ging nicht, sie musste das hier abbrechen. Der Galopp zum reinen Vergnügen war gestrichen. Sobald sie und Alistair auf freier Fläche waren und nebeneinanderher reiten konnten, würde sie Duchess nicht zu mehr Tempo antreiben, sondern versuchen, mit Alistair zu reden. So ausführlich und gleichzeitig unauffällig wie möglich.
Ganz wie sich das für eine Undercover-Agentin gehört, dachte Lily, als sie hinter Alistair ihre Stute vom weichen Nadelbett auf einen verschneiten Waldweg treten ließ.
Vor ihnen lag eine schmale Brücke, die diesen Namen kaum verdiente. Sie war aus rohen Balken zusammengezimmert und mit einem niedrigen Geländer aus ungeschältem Holz versehen.
Es passierte, als sie den kleinen Bachlauf überquerten. Alistair ritt auf Prince vorneweg. Duchess setzte gerade den ersten Huf auf die Planken, das Wasser unter ihnen sprudelte munter über die Kiesel, vorbei an aus dem Schnee ragenden Gräsern und ein paar Eisschollen, und Lily dachte trübsinnig, was für eine unpassend heitere Melodie das war, da spürte sie ein Prickeln im Nacken. Und wusste, dass ihre Unruhe berechtigt gewesen war.
„Alistair“, stieß sie hervor. „Pixies!“
Sie kamen aus den Schatten des Waldes auf sie zu. Zwei waren es, eins glühte hell, eins dunkel. Ihr Leuchten verblasste, als sie ins Tageslicht hinauszischten, aber ihr Tempo verringerte sich nicht. Lily stieß ein erschrecktes Knurren aus, hob schützend einen Arm vor ihr Gesicht und wartete auf den Aufprall.
Er kam nicht. Die geflügelten Fey sausten pfeilschnell an Lily vorbei und knapp unter der Nase des schwarzen Pferdes hindurch.
Prince stieg. Wäre Alistair nicht so ein hervorragender Reiter gewesen, hätte der Rappe ihn sicher abgeworfen. Lily hörte sich selbst aufschreien, als Prince sich auf die Hinterbeine stellte und Alistair sich fluchend an ihm festkrallte. Baskerville brach hinter ihnen in hysterisches Gebell aus, Duchess warf wiehernd vor Angst den Kopf hoch und tänzelte ein paar Schritte rückwärts.
Lily hatte die Stute nicht im Griff. Während sie noch fieberhaft überlegte, ob es besser wäre, aus dem Sattel zu rutschen, ob sie Alistair dann vielleicht zu Hilfe kommen könnte, schaute sie sich suchend nach den Pixies um.
Es waren dieselben, die sie in London angegriffen hatten. Das Männchen mit den hellen Haaren schwebte über dem Bach und betrachtete aus rot glühenden Augen sein Werk. Das Weibchen aber schwirrte mit flirrenden Libellenflügeln vor Prince auf und ab und trieb den Rappen in den Wahnsinn. Immer wieder bäumte er sich auf, bis er sich schließlich entkräftet auf alle viere fallen ließ und sich bemühte, nach hinten zu entkommen. Princes Hufe rutschten über die Balken, während er vergeblich versuchte, sich auf der engen Brücke zu drehen, und sich dabei zwischen den Handläufen verkeilte. Das Geländer war niedrig, doch nicht niedrig genug.
Lily hörte Alistair vor Schmerz aufschreien, als sein linkes Bein zwischen Pferd und Holz eingeklemmt wurde. Einen entsetzlichen Augenblick lang fürchtete sie, der Handlauf würde nachgeben, Reiter und Ross würden von der Brücke stürzen. Doch der Rappe fand stolpernd seinen Tritt wieder.
„Verschwindet!“, brüllte Lily den Pixies voller Angst und Wut entgegen. „Lasst ihn in Ruhe.“ Und dann, ohne darüber nachzudenken, was sie tat, rief sie: „Baskerville, fass!“
Lily hätte nicht sagen können, ob sie wirklich daran glaubte, dass der riesige Jagdhundspross ihrem Befehl gehorchte. Aber Baskerville stoppte tatsächlich sein panisches Gebell, sprang und landete im Bach. Im Flug schnappte er nach dem hellhaarigen Pixie. Taumelnd und mit hoher Stimme schimpfend, brachte sich das Geschöpf in Sicherheit. Baskerville kletterte tropfend und knurrend auf der anderen Seite wieder ans Ufer und griff Princes Peiniger an. Das
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