Elfenstern
Rückkehr zum
Schiff hatte er
als erstes das äußere Schutzfeld verstärkt.
Als er jedoch den Hund als
Kundschafter aussandte, stellte sich heraus, daß sie genau
das taten, was von
ihnen zu erwarten war – sie stritten.
Weil der Hund seine Aufmerksamkeit auf die
Vorgänge im Haus gelenkt hatte, konnte er jetzt auch ihre
Stimmen hören: laut,
schrill, zornig und gereizt.
»Nichtige! Sie sind alle gleich. Sie sollten
froh sein über einen starken Herrscher wie meinen Gebieter
– jemanden, der sie
zwingt, Frieden zu halten, und ihnen eine vernünftige Ordnung
bringt. Das
heißt, sofern noch welche von ihnen am Leben sind, wenn mein
Fürst seinen Fuß
in diese Welt setzt.« Haplo zuckte die Schultern, stand auf
und ging in die
Steuerkanzel.
Der Hund bellte warnend. Haplos Kopf zuckte
herum. Hinter dem Haus bewegte sich der Wald.
Calandra stürmte in ihr Arbeitszimmer, schlug
die Tür hinter sich zu und schloß ab. Sie nahm das
Hauptbuch, öffnete es,
setzte sich in kerzengerader Haltung an ihren Schreibtisch und begann
damit,
die Eintragungen des letzten Zyklus zu überprüfen.
Mit Paithan war nicht zu reden. Er hatte Fremde
in ihr Haus eingeladen, darunter auch die
Menschensklaven, und ihnen
angeboten, es als Zufluchtsort zu betrachten! Der Köchin hatte
er aufgetragen,
in die Stadt zu laufen und ihre Familie zu holen. Mit seinen
Schauergeschichten
hatte er sie alle in Panik versetzt. Die Köchin war
völlig außer sich.
Vermutlich würde es an diesem Abend nichts zu essen geben! Es
war eine für
Calandra schmerzliche Erkenntnis, aber ihr Bruder war offenbar von
demselben
Wahn befallen, unter dem ihr bedauernswerter Vater litt.
»Mit Papa habe ich all die Jahre Geduld
gehabt«,
erzählte Calandra aufgebracht dem Tintenfaß.
»Ich habe es hingenommen, daß er
uns mehr als einmal fast das Haus über dem Kopf
angezündet hätte; ich habe die
Schande und die Demütigungen ertragen … Immerhin
ist er mein Vater, und ich
stehe in seiner Schuld. Aber dir schulde ich nichts, Paithan! Du
bekommst dein
Erbteil und damit Schluß. Nimm das Geld und deine Schlampe
und das andere
Gesindel, und dann kannst du von mir aus versuchen, in dieser Welt
deinen Weg
zu machen. Du wirst bald zu mir zurückgekrochen kommen! Auf
den Knien!«
Draußen begann ein Hund zu bellen. Es kam
völlig
überraschend und tönte so laut durch die sonnenwarme
Stille, daß Calandras Hand
zuckte und ein Tintentropfen von der Feder auf das Blatt fiel.
Stimmengewirr,
Schreie und Rufe drangen von unten herauf. Wie sollte man dabei
arbeiten!
Zornig griff Calandra nach dem Löschpapier und legte es
über den Klecks, um die
Tinte aufzusaugen. Die Eintragungen waren noch lesbar – die
sauber gemalten
Zahlen, wie sie in präzisen Kolonnen über die Seiten
marschierten; Inhalt, Sinn
und Summe ihres Lebens.
Sie legte die Feder behutsam in die Schale und
stand auf, um mit Nachdruck das Fenster zu schließen. Sie
warf einen flüchtigen
Blick nach draußen, hielt den Atem an und beugte sich
ungläubig vor. Es sah
aus, als wären die Bäume zum Leben erwacht und
näherten sich dem Haus.
Sie kniff die Augen zu und rieb mit den Fingern
über die Lider. Manchmal, wenn sie zu lange und angestrengt
arbeitete,
verschwammen die Zahlen auf dem Papier. Ich bin aufgeregt, das ist
alles.
Paithan hat mich aus der Fassung gebracht. Ich bilde mir ein, Dinge zu
sehen,
die gar nicht da sind. Wenn ich die Augen aufmache, wird alles wieder
sein, wie
es sein sollte.
Calandra öffnete die Augen. Es waren nicht
Bäume,
die sich bewegten. Was sie sah, war der Vormarsch einer
grauenerregenden Armee.
Hastige Schritte kamen die Treppe herauf, den
Flur entlang. Eine Faust hämmerte gegen ihre Tür.
Paithans Stimme rief:
»Callie! Sie kommen! Callie, bitte! Du mußt jetzt
mitkommen, sofort!«
Mitkommen? Und wohin?
Ihres Vaters sehnsuchtsvolle, von Vorfreude
erfüllte Stimme sagte durch das Schlüsselloch:
»Meine Liebe! Wir fliegen zu den
Sternen!« Laute Rufe von unten übertönten
seine Worte, als Calandra ihn wieder
verstehen konnte, hörte sie etwas von ›deine
Mutter‹.
»Geh schon hinunter, Vater. Ich werde mit ihr
reden. Calandra!« -Schläge gegen die Tür.
»Calandra!«
Sie starrte wie gebannt aus dem Fenster. Die
schrecklichen Wesen schienen zu zögern, auf die
große, freie Fläche hinauszutreten;
sie verharrten unentschlossen am Waldrand. Manchmal hob eines von ihnen
Weitere Kostenlose Bücher