Elfenstern
nichts.
»Callie, also wirklich.« Paithan zwinkerte
seiner verärgerten Schwester zu. »Dieser Mann ist
unser geehrter Gast. Hier,
erlaubt mir, Euch zu bewirten. Sonst noch etwas? Ein paar
Tohahs?«
»Nein, vielen Dank …«
»Ja, sehr gerne sogar!« ertönte
eine Stimme wie
unterirdisches Donnergrollen.
Erschreckte Mienen bei den am Tisch Sitzenden;
Zifnab wand sich verlegen.
»Ihr müßt Euer Gemüse
essen, gnädiger Herr.« Die
Stimme schien durch den Fußboden zu dringen. »Denkt
an Euren Grimmdarm!«
Aus der Küche war ein Aufschrei zu hören,
gefolgt von erbarmungswürdigem Wehklagen.
»Das Küchenmädchen. Wieder die
Nerven«, bemerkte
Paithan, legte die Serviette neben den Teller und stand auf. Er wollte
sich
davonmachen, bevor seine gestrenge Schwester das ganze Ausmaß
der Situation
begriff. »Ich will nur eben …«
»Wer war das?« Calandra hielt ihn am Arm
fest.
»… nachsehen, was dort unten vorgeht
– falls du
meinen Arm losläßt.«
»Reg dich nicht so auf, Callie«, warf
Aleatha
träge ein. »Es war doch nur ein Donner.«
»Mein Grimmdarm geht dich überhaupt nichts
an!«
wetterte Zifnab zum Fußboden hin. »Ich kann
Gemüse nicht ausstehen!«
»Wenn du recht hast, und es war nur Donner«,
sagte Aleatha in unüberhörbar ironischem Tonfall,
»dann diskutiert der Alte
seine Verdauungsprobleme mit seinen Schuhen. Er ist ein
Verrückter. Paithan,
wirf ihn hinaus!«
Lenthan schaute seinen Sohn flehend an. Paithan
richtete den Blick auf Aleatha, die nur die Schultern zuckte und den
Kopf
schüttelte. Der junge Elf griff nach der Serviette und setzte
sich wieder hin.
»Er ist nicht verrückt, Callie. Er spricht
mit
seinem … hm … Drachen. Und wir können
ihn nicht hinauswerfen, weil der Drache
es als Affront betrachten würde.«
»Sein Drache.« Calandra schob die
Unterlippe vor
und kniff die Augen zusammen. Die gesamte Familie wie auch der zu
Besuch
weilende Astrologe kannte diesen Gesichtsausdruck, der bei den
jüngeren
Geschwistern insgeheim als ›Beißzange‹
bekannt war. Calandra konnte furchtbar
sein, wenn sie in dieser Stimmung war.
Paithan starrte angestrengt auf seinen Teller,
schob mit der Gabel die Speisereste zu einem kleinen Berg zusammen und
bohrte
ein Loch hinein. Aleatha betrachtete ihr Spiegelbild auf dem
glänzenden Bauch
der Porzellanteekanne, neigte leicht den Kopf und bewunderte die
Wirkung des
Sonnenlichts auf ihrem Haar. Lenthan versuchte sich hinter einer Vase
mit
Blumen unsichtbar zu machen, während der Sterndeuter sich zur
Beruhigung der
Nerven eine dritte Portion Tohahs auf den Teller häufte.
»Das Ungeheuer, das bei Lord Durndruns Fest
seine Familie und seine Gäste in Angst und Schrecken versetzt
hat.« Calandras
Blick wanderte von einem zum andern. »Soll das
heißen, ihr habt es hierher
gebracht? In mein Haus?« Das Eis in ihrer Stimme schien sich
als weißer Reif
auf ihrem Gesicht niederzuschlagen, wie das magische Eis auf den
gekühlten
Weingläsern.
Paithan stieß seine jüngere Schwester unter
dem
Tisch mit der Fußspitze an. »Bald gehe ich wieder
auf Reisen und kann diesem
ganzen Theater den Rücken kehren«, murmelte er kaum
hörbar.
»Bald bin ich Herrin in meinem eigenen
Haus«,
entgegnete Aleatha ebenso leise.
»Hört auf zu flüstern, ihr zwei!
Man wird uns
alle im Schlaf ermorden«, rief Calandra in steigender
Erregung. Je hitziger ihr
Zorn, desto kälter ihr Ton. »Ich hoffe nur, Paithan,
dann bist du zufrieden mit
dir. Und du, Thea, ich habe gehört, wie ihr diesen Unsinn
über eine Heirat
getuschelt habt …«
Calandra ließ den Satz mit Absicht unvollendet.
Die Gegenüberstellung der beiden Gedanken in ein und demselben
Atemzug – Heirat
und im Schlaf ermordet werden – ließ wenig Zweifel
an dem, was sie ausdrücken
wollte. Niemand rührte sich, außer dem Astrologen
(der gebutterte Tohahs in den
Mund schaufelte) und dem alten Mann. Scheinbar ohne zu ahnen,
daß er den
Familienstreit ausgelöst hatte, zerlegte er in aller
Seelenruhe das gebratene
Hähnchen. Man hörte überdeutlich das
melodische Klingen eines mechanischen
Blütenblatts, das die nächste Stunde
›entfaltete‹.
Das Schweigen wurde ungemütlich. Paithan
betrachtete seinen Vater, der kläglich auf seinem Stuhl
kauerte, und mußte
wieder denken, wie gebeugt und grau er aussah. Armer, alter Mann, er
hatte
nichts, außer seinen grotesken Hirngespinsten.
Sollte er
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