Elfenstern
habt meine Frau
erwähnt …«
Aleatha schaute hilfesuchend zu Paithan, doch
ihr Bruder konnte nur die Schultern zucken. Sie biß sich auf
die Lippen, strich
ihrem Vater sanft übers Haar und verließ fluchtartig
den Raum. In einer Ecke
des Wohnzimmers, wo keiner sie sehen konnte, blieb sie stehen, legte
die Hand
vor den Mund und schluchzte …
… Das Kind saß vor der
Tür zum Schlafzimmer der
Mutter. Das kleine Mädchen war seit drei Tagen allein, und es
fürchtete sich
immer mehr. Paithan hatte man zu Verwandten geschickt.
»Der Junge ist zu wild«, hatte Aleatha
jemanden
sagen gehört. »Im Haus muß Ruhe
herrschen.« Und so war Paithan gegangen.
Jetzt gab es niemanden mehr, mit dem sie
sprechen konnte, niemand schenkte ihr Beachtung. Sie sehnte sich nach
ihrer
Mutter – ihrer wunderschönen Mutter, die mit ihr
spielte und ihr vorsang – aber
man wollte sie nicht zu ihr lassen. Im Haus wimmelte es von fremden
Leuten:
Heiler mit ihren Körben voll seltsam riechender
Kräuter; Astrologen, die an den
Fenstern standen und den Himmel beobachteten.
Das Haus war still, entsetzlich still. Die
Dienstboten weinten bei der Arbeit, wischten sich mit dem
Schürzenzipfel die
Augen. Einer von ihnen, der Aleatha im Flur kauern sah, meinte,
daß sich
wirklich jemand um das Kind kümmern sollte, aber niemand tat
es.
Wann immer sich die Tür zum Schlafzimmer
öffnete, sprang Aleatha auf und versuchte hineinzukommen, aber
wer auch
hinaustrat – meistens ein Heiler oder sein Gehilfe
–, scheuchte das Mädchen
zurück.
»Aber ich will zu Mama!«
»Deine Mama ist sehr krank. Sie braucht Ruhe. Du
willst sie doch nicht aufregen, oder?«
»Ich werde sie nicht aufregen.« Aleatha
wußte es
genau. Sie konnte still sein und ganz ruhig dasitzen. Seit drei Tagen
tat sie
nichts anderes. Bestimmt vermißte die Mutter sie schrecklich.
Wer kämmte jetzt
Mamas schönes blondes Haar? Das war Aleathas Aufgabe, ihre
allmorgendliche
Pflicht. Sie gab acht, nicht an den Locken zu reißen, sondern
entwirrte sie
behutsam und geduldig. Sie nahm dazu den Schildpattkamm mit den
Rosenknospen
aus Elfenbein, der Mamas Hochzeitsgeschenk gewesen war.
Aber die Tür blieb verschlossen und verriegelt.
Was sie auch versuchte, es gelang Aleatha nicht,
hindurchzuschlüpfen.
Und dann eines Nachts öffnete sich die Tür
und
wurde nicht wieder geschlossen. Aleatha wußte, daß
sie jetzt hineingehen
konnte, aber plötzlich hatte sie Angst.
»Papa?« fragte sie den Mann in der
Tür, der ihr
fremd vorkam.
Lenthan nahm sie nicht wahr. Er nahm überhaupt
nichts wahr. Seine Augen waren matt, die Wangen eingefallen, die
Bewegungen
kraftlos. Plötzlich sank er mit einem erstickten Schluchzen zu
Boden und blieb
regungslos liegen. Heiler kamen gelaufen, hoben ihn auf und trugen ihn
den Flur
entlang in sein Zimmer.
Aleatha drückte sich mit dem Rücken gegen
die
Wand.
»Mama!« wimmerte sie. »Ich will
zu Mama!« Callie
trat aus dem Zimmer. Sie bemerkte das weinende Kind als erste.
»Mama ist fortgegangen, Thea«, sagte
Calandra.
Sie war bleich, aber gefaßt. Ihre Augen waren trocken.
»Wir sind jetzt allein.«
Allein. Allein! Nein, nicht wieder. Niemals
wieder.
Aleatha schaute wie gehetzt durch das leere
Zimmer, in dem sie stand, und eilte zurück in den Speiseraum,
aber dort war
niemand mehr.
»Paithan!« rief sie und lief die Treppe
hinauf.
»Calandra!«
Unter der Tür des Arbeitszimmers ihrer Schwester
schimmerte Licht. Aleatha stürzte darauf zu. Die Tür
öffnete sich, und Paithan
kam heraus. Sein für gewöhnlich fröhliches
Gesicht war grimmig. Bei Aleathas
Anblick grinste er reuevoll.
»Ich … ich habe dich gesucht.«
Aleatha spürte,
wie ihre Gelassenheit zurückkehrte. Sie hob die kalten
Hände, um sich die
brennenden Wangen zu kühlen und ihrem Gesicht wieder die
vornehme Blässe zu
verleihen. »War’s schlimm?«
»Ja, ziemlich.« Paithan lächelte
matt.
»Laß uns einen Spaziergang machen. Durch
den
Garten.«
»Tut mir leid, Thea. Ich muß packen.
Calandra
will, daß ich morgen aufbreche.«
»Morgen schon!« Aleatha runzelte
verärgert die
Stirn. »Aber das paßt mir gar nicht. Lord Durndrun
kommt, um mit Vater zu
sprechen, und dann all die Verlobungsfeierlichkeiten – du
mußt einfach dabei
sein.«
»Es läßt sich nicht
ändern, Thea.« Paithan
bückte sich und küßte sie auf die Wange.
»Geschäft ist Geschäft.« Er
wandte
sich
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