Elfenwinter
entscheiden. So sehr es dem Fürsten gefällt, mit weit gereisten Gästen zu plaudern, so sehr nehmen ihn auch seine Pflichten in Anspruch. Ich werde ihm einen Boten schicken. Darf ich euch in den Gästepavillon bitten, bis uns eine Antwort erreicht?«
Der Wächter klatschte in die Hände, und hinter dem Rosenbusch trat ein Kobold hervor. Der kleine Kerl trug eine graue Livree und schwarze Stiefel, die mit silbernen Knöpfen verziert waren. Die Farben harmonisierten mit seiner dunklen, olivfar-benen Haut. Das Grau der Livree war gedeckter als jenes, das der Elfenkrieger trug.
»Dolmon, du hast gehört, was unsere Gäste vorgetragen haben. Berichte dem Fürsten bitte davon. Ach… « Der Krieger wandte sich wieder an Ollowain. »Du hast nicht zufällig ein Schreiben, das dich als einen Gefolgsmann der Königin ausweist?«
»Nein. Ehrlich gesagt, ist es das erste Mal, dass man mich aufhält, wenn ich in Diensten der Königin reise. Aber ich sehe ein, dass man Zugeständnisse an die Abgelegenheit von Phylangan machen muss. Inmitten der Wildnis ist natürlich nicht bekannt, wer ein Vertrauter der Königin ist.« Ollowain bemerkte, wie der Kobold hinter dem Rücken seines Herrn grinste.
»Du darfst gehen, Dolmon«, sagte der Wächter. »Und trödele nicht herum!«
»Darf ich auch deinen Namen erfahren?«, fragte Ollowain. »Nur für den Bericht, den ich meiner Königin über meine Reise vorlegen muss. Du wärst erstaunt, wenn du wüsstest, wie buchhalterisch Emerelle in manchen Angelegenheiten ist.«
Der Wächter straffte sich. »Ronardin heiße ich.«
»Sehr schön, Ronardin. Dann geleite uns nun in den Gästepavillon, und sei bitte so diskret, meine Reisegefährtin nicht durch deine Blicke zu brüskieren.« Der Krieger hatte gar nicht in Lyndwyns Richtung geschaut, dennoch erblasste er. Er beeilte sich, ihnen voranzugehen und sie zu einem kleinen Marmorpavillon zu bringen. Von dort aus hatte man einen wunderbaren Blick auf die Himmelshalle und die Mandan Falah. Die Brücke war der Shalyn Falah in allen Einzelheiten nachempfunden. Nur, dass sie mitten im Schwung im leeren Raum endete. Vom Pavillon aus gesehen, waren ihre weiten Bögen wie Fenster, die die Landschaft zergliederten. Diese Gartenlandschaft zu pflegen, musste unendliche Mühen kosten. Mühen, die vermutlich auf den Schultern unzähliger Kobolde lagen. Die Himmelshalle mochte größer geworden sein, aber an den wesentlichen Dingen, die die Gesellschaft der Normirga ausmachten, hatte sich nichts verändert. Und Ollowain war erschrocken, wie schnell er zu dem überheblichen Tonfall seines Volkes zurückgefunden hatte. Oder hatte er ihn niemals abgestreift?
Auf einem schmalen Tisch waren auf einer Silberplatte Trauben, Birnen, Äpfel und Nüsse zu einem malerischen Stillleben arrangiert. Eine Kristallkaraffe mit rotem Wein und vier kostbare Gläser rundeten das Bild ab. Ollowain nahm sich eine große Weintraube und aß sie. Ronardin stand am Eingang des Pavillons und wich jedem Blick aus. Den verleumderischen Vorwurf, Lyndwyn anzüglich angesehen zu haben, hatte er offensichtlich noch nicht verwunden. Er achtete nun peinlich darauf, ihr stets den Rücken zuzuwenden. Der Schwertmeister lächelte. Ronar-din musste noch sehr jung sein, sonst wäre ihm bewusst, dass er mit diesem Verhalten den Vorwurf herausforderte, einen Gast nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit zu behandeln.
Der Ausblick in die riesige Höhle mit ihren künstlichen Terrassenwäldern hatte etwas Beruhigendes. Ollowain genoss die süßen Trauben und den mit Honig, Zimt und Nelken veredelten Wein. Es war leicht, sich in Phylangan wohl zu fühlen, wenn man sich den Gesetzen der Normirga fügte.
Lyndwyn hatte sich auf einer Bank niedergelassen. Die Beine weit gespreizt, saß sie in wenig damenhafter Haltung da. Sie hatte sich weit zurückgelehnt. Ihr Gesicht spiegelte Langeweile und Müdigkeit. Auch sie hatte sich eine Traube genommen. In Gedanken verloren, rieb sie eine der Früchte zwischen den Fingern.
Der Pavillon war ein guter Ort, um zu warten. Ollowains Blick wanderte über die Waldterrassen. Er könnte hier Stunden sitzen, ohne des Schauens müde zu werden. Der Anblick der Natur vermag die Seele zu heilen, hatte ihm seine Mutter vor Jahrhunderten erzählt. Damals war er zu ungeduldig gewesen, um sich dieser Wahrheit zu öffnen. Und er war auch zu jung gewesen, um an einer verletzten Seele zu leiden. Erst die Zeit hatte ihn von der Weisheit in den Worten seiner Mutter
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