Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin - Paradigi, J: Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin
Tanner schien ganz offensichtlich Freunde in der Stadt zu haben, die wussten, wie man Spuren beseitigte und sich diskret aus dem Staub machte.
Auch wenn es Anne weiterhin nach Rache dürstete, gab es für Robert andere Dinge, die ihn beschäftigten. Nach ihrem Blutkuss hatte sich alles verändert.
Er
hatte sich verändert. Er war gestorben und als Vampir neu geboren worden. Nun war er einer dieser Untoten aus den Geschichten und doch nicht ganz. Ein Unsterblicher mit elfischem Blut. Worte, deren Bedeutung Robert mehr erahnte als wirklich verstand. Schon am Tag nach dem Kampf war klar geworden, dass er zumindest eine Besonderheit an sich hatte, die ihn von den klassischen Blutsaugern unterschied.
Als Anne aus alter Gewohnheit die Vorhänge aufgezogen und Sonnenlicht ins Zimmer gelassen hatte, war er zuerst angsterfüllt mit dem Laken über dem Kopf aus dem Bett gesprungen, um der drohenden Einäscherung zu entgehen. Doch zu seiner Überraschung hatte ihm das Licht nichts anhaben können. Er war ein Tagwandler, genau wie Anne. Sie hatte leise gelacht, amüsiert von seiner übertriebenen Reaktion. Immerhin war genau das der Handel gewesen. Er war nun wie sie. Nun ja, beinahe … Sie lebte, er nicht mehr so richtig.
Und auch ihre Beziehung war nun etwas anderes als ein bloßer Bund zwischen Muse und Schützling. Annes Blut floss durch Roberts Adern. Sie hatte ihn erschaffen, und er hatte sich ihr freiwillig hingegeben. Ob da Liebe zwischen ihnen war? Robert wusste nicht, ob er das Gefühl überhaupt noch empfinden konnte.
Seine Sinne dagegen waren schärfer als je zuvor. Es gab so viel, was er erst jetzt wahrnahm, erst jetzt spürte. Dinge, die er noch nicht einmal zu benennen wusste, aber langsam zu genießen lernte. Neugier und Lust waren anstelle von Angst und Zweifel getreten.
Und in diesem neuen Sein glaubte er, endlich seinen Platz in der Welt gefunden zu haben. Anne schien den neuen Robert zu akzeptieren. Geradezu zärtlich stützte sie ihn, wenn er taumelte, weil sein Geist die Flut an neuen Eindrücken nicht verarbeiten konnte. Sie half ihm, die körperlichen Reaktionen zu kontrollieren, und versorgte ihn mit jenem Lebenselixier, das ein Vampir benötigte, wenn sein Magen sich hungrig zusammenkrampfte: Blut.
»Du und dein Organismus werden sich schnell an die neue Nahrung gewöhnen«, hatte sie sanft geflüstert, nachdem er sich dem ersten bewussten Bluttrank folgend vor Ekel übergeben hatte. »Mit der Zeit wirst du lernen, besser mit deiner Energie hauszuhalten, und seltener trinken müssen«, hatte sie versprochen.
Doch bei der Abreise am Flughafen wurde Robert unruhig, als die Passagiere zum Einsteigen aufgefordert wurden. »Was, wenn ich zehn Kilometer über der Erde plötzlich Heißhunger verspüre?«, fragte er unsicher. »Wenn ich wie die Gräfin ausraste und mich im Rausch von den Passagieren über die Stewardessen bis zu den Piloten durchfresse?«
Anne lachte. »Ich werde dich schon zu bändigen wissen«, sagte sie mit einem Zwinkern, nahm ihn bei der Hand und zog ihn mit sich. »Komm schon. Du bist ein Vampir, kein tollwütiger Hund.«
Tatsächlich blieben die befürchteten Gelüste aus und mit ihnen die sonst so gewohnte Flugangst. Stattdessen spürte Robert plötzlich erschrocken, wie sich das Cairdeas an seinem Handgelenk kurz, aber heftig zusammenzog. Einen Moment lang blickte er verwirrt auf das unscheinbare Band, das Fanmórs Zwillingstochter ihm vor sehr langer Zeit als Pfand der Verbundenheit geschenkt hatte. Er fühlte dem seltsamen Sinneseindruck nach, dann flüsterte er irritiert: »Ich glaube, wir haben Rian verloren.«
Anne verzog den Mund. »Schon wieder tot?«, fragte sie.
Doch Robert schüttelte den Kopf. »Nein. Nein, diesmal ist es anders. Sie ist einfach verschwunden. Verloren gegangen. Irgendwie.«
Ende
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