Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin - Paradigi, J: Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin
herunter.
Als sie auf die beiden Tiere zuging, sprangen sie zu Tode erschrocken zur Seite. Die Kühe rannten in ihrer Panik mehrfach gegeneinander und plumpsten schließlich unsanft auf ihre Hinterteile. Nadja musste sich auf die Lippe beißen, um nicht laut loszulachen.
»Verzeiht, wenn ich euch geängstigt habe«, sagte sie freundlich und ging in die Knie, um weniger bedrohlich zu wirken.
Die Kühe glotzten sie mit offenen Mäulern und aufgerissenen Augen an.
»Sie kann uns sehen«, flüsterte die eine.
»Sie hat uns reingelegt«, wisperte die andere.
»Ich heiße Nadja und bin auf der Suche nach dem weißen Pfau«, sagte sie ihr Sprüchlein auf und nickte den beiden zu. »Könnt ihr mir vielleicht den Weg zu ihm zeigen?«
»Was willst du von Pavo?«, fragte die Kuh mit der Milchschnauze.
»Indira, die Frau des Maharadschas, schickt mich. Ich soll eine Bitte überbringen«, erklärte Nadja ausweichend. Ob der Pfau das Amrita freiwillig herausgeben würde, hatte die Elfe ihr nicht verraten.
Die Minikühe tuschelten erneut und erhoben sich schließlich, so ehrwürdig wie als Vierbeiner eben möglich.
»Es liegt nicht in unserer Macht, dir deinen Wunsch zu erfüllen«, sagte die eine und drängte ihre Kameradin zu gehen.
Doch so leicht ließ Nadja die beiden nicht ziehen. »Kennt ihr vielleicht jemanden, der mir helfen kann?« Die beiden Tiere wechselten mit gekräuselten Schnauzen ein paar Blicke, die verrieten, dass Nadja auf der richtigen Spur war. Ein Tauschhandel wäre wohl eine gute Idee gewesen, aber der Journalistin fiel nichts außer ihrer Kleidung ein, was sie zu geben hatte. Da die Kühe mit ihrer Antwort zögerten, sagte sie: »Bitte, helft mir.«
Das Milchmaul rollte mit den Augen. »Siehst du«, flüsterte es. »Ich hab gewusst, dass sie den Trick kennt. Sie weiß, dass wir ihr diese Bitte nicht abschlagen dürfen.«
»Sie ist ja auch keine Kriegerin, die ihren Willen mit Einschüchterungen oder roher Gewalt durchsetzen will«, zischte die andere. »Sie hat es verdient, dass wir ihr helfen.«
Nadja schmunzelte. Offenbar hatte sie sich doch nicht im Labyrinth verloren, wie der Wächter es so rätselhaft formuliert hatte.
»Also gut«, sagte die Kuh schließlich. »Wir bringen dich zu Kamadhenu.«
»Wird Kamadhenu mir den Weg zeigen können?«, fragte Nadja vorsichtig.
»Nur, wenn du es dir von ihr wünschst und sie dich als würdig anerkennt. Denn sie ist die Erfüllerin der Wünsche.«
Während Nadja den beiden hundegroßen Kühen durch den Wirrwarr des Labyrinths folgte, erahnte sie, dass dieser Höhlenausflug länger dauern würde, als sie erhofft hatte. Er war eine Odyssee – auf eine Prüfung folgte die nächste und die nächste, bis … Aber so weit wollte sie gar nicht denken.
13 Feuerprobe
Die ganze Nacht brütete Tanner über seinen Büchern und experimentierte mit verschiedenen Lösungsmitteln, Zusätzen und Tinkturen, bis er endlich im Morgengrauen sein Ziel erreicht zu haben glaubte.
In einer der Petrischalen, die André ihm zusammen mit den anderen Laborgerätschaften auf sein Zimmer geschickt hatte, befanden sich gut zwanzig Tropfen des Gemisches, das er nach den Anweisungen verschiedener Alchemierezepte zusammengebraut, destilliert, sublimiert und schließlich erneut verflüssigt hatte – das Elixier des Lebens.
Annes Blut war wirklich außergewöhnlich. Unter dem Mikroskop sah man statt der üblichen Blutkörperchen zackige rote Gebilde, die sich unablässig zu bekämpfen, aber auch zu erneuern schienen. Tanner verstand zu wenig von Molekularbiologie oder Genetik, um dieses Phänomen interpretieren oder benennen zu können. Aber das musste er auch nicht. In der Magie ging es nicht um exakte Wissenschaft, sondern um Glauben, innere Stärke und Vorstellungskraft. Und davon besaß er mehr als genug. Ja, er war sich sicher, dass er endlich am Ende seiner Suche angelangt war. Er hielt den Beweis in Händen, hatte eine wahrhaftige Elfe aufgespürt und ihr ein Stückchen ihres ewigen Lebens entrissen. Es spielte keine Rolle, dass Anne gleichzeitig eine Vampirin war. Hauptsache, es floss Unsterblichkeit durch ihre Adern und bald auch durch seine. Die Begegnung mit Jarosh wirkte im Zusammenhang gesehen geradezu schicksalhaft. Nadja Oreso schien plötzlich nur mehr ein Meilenstein auf seinem Weg.
Zum wiederholten Mal nahm Tanner seine Unterlagen zur Hand und betrachtete die Buchseite, auf der das Porträt der Gräfin zu sehen war.
Jetzt ergibt alles einen Sinn
, dachte er
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