Elfenzeit 11: Merlins Erwachen - Hartmann, C: Elfenzeit 11: Merlins Erwachen
Ihr.« Viviane griff nach dem roten Vorhang und zog ihn wieder zu. Das Geräusch, mit dem die Vorhangringe auf ihrer Schiene rutschten, klang wie ein Reißen.
»Ich weiß nicht …«, setzte Rian an, aber auch sie wurde von der Herrin vom See unterbrochen.
»Ich verlange nicht von Euch, dass Ihr Melisende selbst rettet. Aber Ihr könnt jenen Mann herbringen, der es als Einziger vermag.«
»Melisendes Vater«, vermutete Rian, und Viviane nickte. »Warum holt Ihr ihn nicht selbst?«, hakte die Prinzessin der Sidhe Crain nach.
»Weil ich es nicht kann. Ein starker Bann hält ihn an Ort und Stelle, und ich vermag ihn nicht zu lösen.«
In David wuchs das Unbehagen, das er schon die ganze Zeit verspürte, sprunghaft an. »Wer ist Melisendes Vater?«, fragte er misstrauisch.
Viviane schloss die Augen und sah ihrer Tochter plötzlich unendlich ähnlich. David merkte, wie ihm ein Stich durchs Herz fuhr angesichts der Traurigkeit, die von ihr ausging.
Einige Sekunden vergingen, bevor Viviane die Augen wieder öffnete. »Ihr Vater ist …« Sie stockte. »… Myrrdin Emrys.«
Rian wurde bleich, und David stöhnte diesmal wirklich.
Viviane nickte sehr langsam. »Ihr Vater ist Merlin, der Zauberer«, wiederholte sie.
5 Eine schmerzhafte
Wahrheit
Anfang Januar 1064 n. Chr., Le Mont-Saint-Michel
Eleanor stolperte weinend am Rand des Waldes entlang. Das Kleid, das Rousel ihr zerrissen hatte, hielt sie mit der Linken vor dem Leib zusammen, während sie mit der anderen Hand wie blind vor sich hertastete, um sich nicht an herabhängenden Ästen zu verletzen. Schließlich stießen ihre Schienbeine gegen ein Hindernis. Tränenblind tastete sie darüber; es war ein umgestürzter Baumstamm, auf den sie sich nun sinken ließ.
»Du Mistkerl!«, verfluchte sie den Wirtssohn. »Das wirst du mir büßen, das schwöre ich bei Gott!« Sie fühlte sich verletzt und erniedrigt. Ihr gesamter Körper war wund vor lauter Schmerzen, und so griff sie in den kleinen Beutel, der von ihrem Gürtel hing, und entnahm ihm eine kleine Phiole aus Messing, in der sie ein heilendes Öl aufbewahrte, das sie selbst herstellte. Vorsichtig strich sie es auf beinahe jede ihrer misshandelten Körperstellen, bis die Phiole gänzlich leer war. Dann verstaute sie sie wieder in ihrem Beutel und erstarrte in Regungslosigkeit.
Lange Zeit saß sie auf dem Baumstamm, und die Kälte, die das raue Holz ausstrahlte, übertrug sich auf ihren Leib. Wie sie es erwartet hatte, breitete sich alsbald eine angenehme Taubheit in ihr aus, und Eleanor begrüßte sie wie einen alten Freund, einen Trostspender. Sie nahm dem Schmerz ein wenig von seiner Schärfe.
Plötzlich wurde rascher Hufschlag laut. Eleanors erster Impuls war, aufzustehen und sich im Unterholz zu verstecken, aber inzwischen waren ihre Glieder so kalt, dass sie sich kaum noch rühren konnte. Also blieb sie einfach, wo sie war.
Auf dem Pfad, den sie von ihrem Platz aus übersehen konnte, näherte sich ein einzelner Reiter. Er ritt in leichtem Galopp, und er war schon fast an ihr vorbei, als er sie endlich bemerkte.
»Ho!« Mit einem Ruck brachte er sein Pferd zum Stehen. Der Blick seiner braunen Augen glitt einmal an Eleanors Gestalt hinauf, dann wieder hinab. »Wer seid Ihr? Was ist Euch geschehen? Hat man Euch überfallen?« Er sprang aus dem Sattel und kam einen Schritt näher. Unwillkürlich wich Eleanor zurück und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren, da ihr Leib ihr nicht mehr gehorchte.
Der Fremde hob beide Hände. »Ganz ruhig!« Nun erst bemerkte Eleanor, dass er die Gewänder eines Mönches trug, eine dunkle Kutte, die von einem einfachen braunen Strick um die Hüften gehalten wurde. Die hohen, ledernen Stiefel, die statt einfacher Sandalen unter der Kutte hervorblitzten, passten allerdings nicht ins Bild eines Geistlichen – genauso wenig wie das lange Schwert, das am Sattel des Pferdes baumelte.
»Ich werde Euch nichts tun!«, beschwichtigte der Mann Eleanor. »Habt keine Angst. Ich will Euch nur helfen.«
Sie hörte seine Worte, konnte die schreckgeweiteten Augen jedoch nicht von dem Schwert abwenden. In ihrem Kopf blitzte ein Bild auf, und sie sah Rousel mit der blanken Messerklinge in der Hand, mit der er sie schließlich gezwungen hatte, ihm zu Willen zu sein. Instinktiv legte Eleanor eine Hand an den haarfeinen Schnitt quer über ihre Kehle und unterdrückte ein entsetztes Aufwimmern.
Der Mönch folgte ihrem Blick hin zu dem Schwert. »Oh das!« Er lachte auf, und es klang
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