Elfenzeit 11: Merlins Erwachen - Hartmann, C: Elfenzeit 11: Merlins Erwachen
und links vom Altar hatten, besaßen Fußkissen, alle anderen Gottesdienstbesucher mussten auf dem Fußboden knien.
Die Altarschranke bildete den einzigen Schmuck des Raumes. Sie bestand ebenfalls aus Holz, doch dieses war mit Schnitzereien reich geschmückt und verziert. Eine Legende erzählte, dass der heilige Michael diese Schranke vor Bischof Auberts Augen aus einem Eichenbaum geschaffen hatte, um ihn zum Bau der Kapelle zu überreden. Eleanor stellte sich beim Anblick der feinen Ornamente lieber vor, wie einer der Mönche Jahre seines Lebens damit verbracht hatte, sie mithilfe seines Schnitzmessers aus dem harten Holz hervorzulocken – und verspürte abermals den Stich eines schlechten Gewissens.
»Seid Ihr Vater Cedric?«, fragte sie schnell und kniete auf den Stufen vor der Altarschranke nieder. »Woher kennt Ihr meinen Namen?« Sie konnte sich nicht erinnern, ihn Joscelin genannt zu haben.
Der alte Mönch lächelte breit. »Ja zu deiner ersten Frage, Kind. Und zur zweiten: Ich kenne dich schon, seit du ein Säugling warst.«
»Wie das?«
Vater Cedric ließ sich auf einer kleinen Bank jenseits der Schranke nieder und lachte. Es war ein heiseres Lachen, das eines alten Mannes, und der Atem, der aus seinem Mund drang, roch ebenfalls nach Alter. »Weil ich dich … sagen wir,
gefunden
habe.«
»Ich verstehe Euch nicht.«
»Nun, das ist nicht verwunderlich. Aber bevor ich dir etwas über dich erzähle, meine Tochter, sage mir zuerst, was dich zu mir führt.«
Eleanor zog die Unterlippe zwischen die Zähne, verzichtete aber darauf, in sie hineinzubeißen, weil sie ohnehin schon schmerzte. Rousels Faust hatte sie hart am Kinn getroffen, als sie sich gegen seinen Überfall gewehrt hatte, und die zarte Haut an ihrer Lippe war aufgeplatzt. Fieberhaft überlegte die Magd, was sie sagen sollte. Sie konnte diesem heiligen Mann schlecht mit der Wahrheit kommen.
Boann schickt mich, Vater. Eine uralte heidnische Göttin
. Das hörte sich in ihren eigenen Ohren so ungeheuerlich an, dass sie es nicht über die Lippen brachte. »Ich … ich habe Träume. Neuerdings. Ich meine …«
»Was für Träume, Kind?«
Und da nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und erzählte es ihm. Sie sprach von der Katze, die sie durch den Wald führte, von der Quelle im Moos, von dem Mann mit den violetten Augen. Was dieser Mann mit ihr tat, ließ sie aus, nicht nur, weil sie es dem Mönch gegenüber unmöglich aussprechen konnte, sondern auch weil es ihr nach dem, was sie mit Rousel erlebt hatte, überhaupt nicht mehr ersehnenswert vorkam. Dennoch, stellte sie ungläubig fest, war dieses Ziehen in ihrem Herzen geblieben. Die Sehnsucht nach dem Mann mit den violetten Augen.
»Eine Katze«, murmelte Vater Cedric. »Wie bemerkenswert! Wie sah dieses Tier aus?«
Eleanor beschrieb sie ihm. »Es ist nicht mein eigener Kater, irgendwie habe ich das Gefühl …«
Cedric unterbrach sie mit einem knappen Wink. »Schon gut.«
»Und dann ist da noch diese Stimme«, berichtete sie zögernd.
»Eine Stimme? Sagt sie dir, wem sie gehört?«
Eleanor schluckte trocken. »Sie … sie nennt sich selbst … Verzeiht, Vater, ich weiß, dass ich nicht … Ich …«
Zu ihrer Verblüffung streckte Vater Cedric eine Hand durch das Gitter der Altarschranke und tätschelte ihren Unterarm. »Hab keine Angst, mein Kind! Egal, was du mir sagst, ich werde dich nicht verurteilen.«
»Es ist nur … Ich fürchte mich davor …« Eleanor schniefte. »Dass ich vom Teufel besessen bin!«, stieß sie atemlos hervor.
»Die Entscheidung darüber solltest du mir überlassen.« Cedric klang belustigt, als er das sagte. »Ich habe in solchen Dingen ein bisschen mehr Erfahrung als du, meinst du nicht?«
Eleanor nickte. Sie spürte, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen, und wischte sich mit dem Ärmel ihres Kleides über die Nase. Plötzlich fiel ihr auf, dass sie für eine Kirche unziemlich viel Haut ihrer Schultern sehen ließ, und sie zog die zerrissenen Fetzen enger um den Hals zusammen.
»Und jetzt erzähle mir, wem diese Stimme in deinem Kopf gehört«, drängte Vater Cedric.
Eleanor holte tief Luft. »Boann«, flüsterte sie dann.
Die Reaktion des Mönches kam völlig unvermittelt. Mit einem Ruck stand er auf und trat einige Schritte von der Altarschranke fort. Er hob die Hände zum Kopf, rieb sich über die Glatze und ließ die Arme wieder sinken, um sie gleich darauf wie zu einem verzweifelten Ausruf wieder in die Höhe zu reißen. Dabei kam jedoch
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