Elfenzeit 11: Merlins Erwachen - Hartmann, C: Elfenzeit 11: Merlins Erwachen
David musste sich beeilen, um mit Viviane und Rian Schritt zu halten.
Sie erreichten eine breite, doppelflügelige Tür, die Viviane schwungvoll aufstieß, und kamen in einen weiteren, großen Raum. Im Gegensatz zum vorherigen enthielt er keinen Kamin und keine Sitzgruppe, sondern Hunderte von alten, staubigen Möbeln unter weißen Leintüchern.
»Ein Speicher?« Rian blieb stehen und drehte sich einmal um ihre eigene Achse.
Viviane lächelte sanft. »Speicher oder Ballsaal … Was ist schon ein Name?« Sie fuhr mit der Hand durch die Luft, und die staubigen Möbel waren verschwunden und hatten einem weitläufigen Saal Platz gemacht, an dessen Wänden diverse Spiegel das Licht von tausend brennenden Kerzen vervielfachten. Im nächsten Moment vollführte Viviane die Bewegung erneut, und der Speicher kehrte zurück.
»Hier!« Die Herrin vom See ging zu einem flachen Gegenstand, der, anders als alle anderen, nicht mit einem weißen, sondern mit einem blutroten Tuch zugedeckt war. Sie zog es zu Boden, und ein mannshoher goldener Spiegelrahmen kam zum Vorschein. Er war leer; nur die Holzplatte, die einst die Rückseite gebildet hatte, war noch erhalten und sah alt und rissig aus.
Abermals lächelte ihre Gastgeberin. »Die Menschen lieben Spiegel! Sie halten sie für etwas Besonderes. Kein Wunder, würde ich sagen.«
David wusste, was sie meinte. Einzig Spiegel waren in der Lage, Elfenmagie zu brechen, denn in ihnen zeigten die Elfen ihr wahres Gesicht. Früher, als der Übergang zwischen den Welten noch einfacher gewesen war und es deshalb sehr viel mehr Elfen unter den Menschen gegeben hatte, musste das den Menschen hilfreich erschienen sein.
»Dieser Rahmen enthielt einmal einen Spiegel, der überaus mächtig war«, verriet Viviane. »Es hat mich aufrichtig geschmerzt, dass ich ihn zerschlagen musste. Aber ein Teil seiner Kraft ist in dem Rahmen geblieben. Mit seiner Hilfe ist es mir möglich, Euch an jeden beliebigen Platz auf dieser Welt zu bringen.«
David streckte die Hand aus und berührte den Rahmen. Er war warm, und das schuppenartige Muster unter seiner goldenen Schicht wirkte fast lebendig. »Auch in die Vergangenheit?«
»Leider nein, aber das ist nicht schlimm.« Viviane tippte mit Zeige- und Mittelfinger gegen das Holz im Rahmen. »Ich könnte dieses Portal auch in einem Schrank öffnen oder in der Mitte eines Steinkreises, aber ich fand die Idee mit dem Spiegel recht reizvoll.« Die Oberfläche des Holzes veränderte sich einige Sekunden, nachdem Vivianes Haut sie berührt hatte. Kurz sah es so aus, als würde das Holz von einer blinden Schicht bedeckt, die wie Nebel aussah. Dann verschwand sie, wie Wolken sich von einem Frühlingshimmel verzogen, und machte einer Art Membran Platz. David sah feine, flirrende Punkte darauf tanzen. Sie erinnerten ihn an jene Lichtfunken unter dem See, die ihn und Rian zu Vivianes Schloss gebracht hatten.
»Portal?«, wiederholte Rian den Ausdruck, den Viviane benutzt hatte. »Das ist aber keines der Portale zwischen den Welten, oder?« In ihren violetten Augen glitzerte es vor Unternehmungslust.
»Die sind allesamt verschlossen«, antwortete Viviane indirekt. »Durch dieses Portal kann man die Menschenwelt nicht verlassen. Hiermit«, sie tippte mitten in die flirrenden Punkte, die daraufhin ihre Farbe von Silbrig zu Dunkelrot veränderten, »bringe ich Euch direkt zum Menhir du Champ-Dolent. Das ist ein Menhir, der in der Nähe von Dol-de-Bretagne liegt, einer kleinen Stadt, gar nicht weit von hier entfernt. Er wird Euch ins Jahr 1064 bringen.«
»Wie das?«, fragte David. Auch er war inzwischen herangetreten und betrachtete die magische Oberfläche des Portals.
»Die meisten Menhire sind mehr als nur große Steine«, erläuterte Viviane. »Ihre Kraft reicht durch die Zeiten hindurch. Ihr müsst Euch das wie eine Art Markierungsnadel auf einer Karte vorstellen. Nur dass diese Nadel nicht allein die Gegenwart markiert, sondern auch jeden möglichen Zeitpunkt in der Vergangenheit. Ihr müsst den Stein einfach berühren, dann bringt er Euch dorthin, wo Ihr hinwollt. Das genaue Datum der Sonnenfinsternis ist übrigens der 19. April. Ihr solltet den Menhir bitten, Euch genügend Vorlauf zu geben.«
»Warum?«
»Zum einen liegt Merlins Eiche einige Tagesreisen von Dol entfernt, und man weiß nie, auf welche Hindernisse Ihr in der Vergangenheit stoßen werdet. Zum anderen ist ein Menhir keine Maschine, die man auf einen bestimmten Tag einstellen kann. Es ist durchaus
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