Elfenzeit 13: Im Reich des Priesterkönigs - Kern, C: Elfenzeit 13: Im Reich des Priesterkönigs
sah sie Nadja an. »Folge Catan! Wir kümmern uns um den Rest.«
Nadja ließ den Splitter fallen und verschwand in der Dunkelheit des Tunnels.
Brandubh drehte sich, schien zu bemerken, dass er allein war. Robert näherte sich ihm von der einen Seite, Anne von der anderen.
»Oh«, sagte der Elf.
Nadja rannte durch den dunklen Tunnel. Die Schreie ihres Sohnes hallten von den Wänden wider und zerrissen ihr das Herz.
Der Boden war so uneben, dass Nadja immer wieder stolperte, aber sie wurde nicht langsamer. Die Sorge um Talamh trieb sie voran, löschte jeden anderen Gedanken in ihrem Kopf aus, sogar den an Roberts Verwandlung. Später, wenn ihr Sohn wieder bei ihr war, würde sie darüber nachdenken. Und Talamh
würde
zu ihr zurückkehren, daran klammerte sie sich. Eine Alternative gab es nicht.
Ein waberndes Licht erhellte den Tunnel vor ihr, und eine dunkle Gestalt bewegte sich darin, erschuf ein Portal. Ihr Schatten zuckte über den Boden.
Nadja rannte ihr entgegen. »Catan!«, schrie sie. »Warte!«
Der Elf drehte sich um. Seine gelben Katzenaugen leuchteten. Er hielt Talamh im Arm und strich mit einer Pranke langsam über seinen Kopf. Nadja verstand die Drohung. Abrupt blieb sie stehen. Catan war weniger als zwei Meter entfernt.
»Komm nicht näher«, sagte er.
»Bitte tu ihm nichts.« Der Klang ihrer Stimme schien Talamh zu beruhigen. Er hörte auf zu schreien.
Catan warf einen Blick auf das Portal, das neben ihm entstand. Es sah aus, als schwinge eine Tür auf. Licht drang durch den größer werdenden Schlitz in der Wirklichkeit. Wenn Catan mit Talamh durch das Portal ging, war alles vorbei, das war Nadja klar. Sie wusste weder, wohin es führte, noch konnte sie dem Elfen folgen.
»Ich komme mit dir«, stieß sie atemlos hervor. »Gib Talamh frei, dann ergebe ich mich Bandorchu. Ich werde nicht versuchen zu fliehen, du hast mein Wort.«
»Das Wort einer verzweifelten Mutter.« Catan zog die Lefzen hoch. Seine Reißzähne glitzerten feucht. »Du würdest es bei der ersten Gelegenheit brechen, um zu deinem Sohn zurückzukehren.«
»Das würde ich ...«
Er unterbrach sie mit einer Geste, schien etwas gehört zu haben. Sein Blick glitt an Nadja vorbei in den Tunnel.
»Ich bin kein grausamer Mann«, sagte er dann. »Ich werde dich nicht bitten und betteln lassen. Talamh kommt mit mir, denn ich habe für ihn ein weitaus besseres Angebot als für dich bekommen. Das ist die Wahrheit.«
Er wandte sich dem Portal zu.
»Nein!« Nadja warf sich ihm entgegen, aber er war schnell, viel zu schnell. Ihre Fingerspitzen strichen noch über Fell, dann war er schon mit einem Sprung im Portal verschwunden.
»Nein ...« Nadjas Beine knickten unter ihr ein. Sie sackte auf den Lehmboden, starrte wie betäubt auf das Portal in der Tunnelwand.
»Nadja!« Robert tauchte plötzlich neben ihr auf. Seine Jacke war zerrissen, blutige Striemen bedeckten seine Hände. Anne lief an ihm vorbei und ergriff zuerst seinen Arm, dann Nadjas, riss sie mit einem schmerzhaften Ruck vom Boden hoch. Der Schwung trieb Nadja auf das Portal zu – und hindurch.
6 Sonntag auf dem Land
Jimmy Raunga Roimata langweilte sich.
Diese wöchentlichen Versammlungen nervten ihn.
Nicht genug, dass er im Internat in New Plymouth schon immer die morgendlichen Zusammenkünfte absitzen musste. Nein, sein Großvater erwartete auch am Wochenende von ihm, dass er hier hockte und mit der Gemeinde nicht nur den Gottesdienst, sondern auch die Angelegenheiten durchsprach, die für das Zusammenleben in Pukearuhe eine Rolle spielten und damit auch für den Ngati-Tama-Stamm von Bedeutung waren.
Der Sechzehnjährige wäre viel lieber surfen gegangen. Um diese Jahreszeit war das Wetter dafür ideal. Auch an diesem Tag schien die Sonne, und Jimmy konnte den Impuls kaum unterdrücken, aufzuspringen, sich den Pick-up seines Onkels zu schnappen und damit an den Strand zu fahren. Alles war besser, was möglichst weit von Pukearuhe entfernt lag.
Jimmy versuchte, sich etwas bequemer hinzusetzen, und gab sich dabei kaum Mühe, leise zu sein. Seine Großtante stieß ihm heftig in die Seite. Sie war die Ehefrau des
ariki
, des Stammesoberhaupts, und sich ihrer Würde sehr wohl bewusst.
Mit einem genervten Stöhnen setzte Jimmy sich geräuschvoll auf. Glücklicherweise begann die Gemeinde gerade, mehr schief als schön das letzte Lied des von Brauchtum durchsetzten Gottesdienstes zu singen: die Nationalhymne. Jimmy stimmte beinahe automatisch ein, denn er musste das
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