Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes - Thurner, M: Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes
jetzt dem Getreuen ...«
»Wach auf, du faules Stück Fleisch!«
Irgendjemand malträtierte seinen Magen und seinen Rücken. Gofannon machte sich so klein wie möglich, wollte seinem Gegner eine geringstmögliche Angriffsfläche bieten.
Träumte er?
Unmöglich. Das Schattenland erlaubte Derartiges nicht.
Ein weiterer Tritt. Diesmal gegen die Kniescheiben. Der Schmerz explodierte in seinem Bewusstsein und durchdrang die bleierne Schwere seines Schlafs.
»Schon gut!«, ächzte er und mühte sich hoch. Beine und Arme wollten ihm kaum gehorchen. Er war müde und so schwach wie ein Blatt im Wind.
Eine seltsam aufgeblähte Gestalt stand vor ihm. Wild und kantig wirkte sie und seltsam unfertig. Das Geschöpf sah so aus, als bestünde es bloß aus Luft und Haut.
Es beugte sich vor. Feuchte Nüstern legten sich über Gofannons Wanst. Der andere schnüffelte sich vom Bauch hoch bis zu seinem Hals und hinterließ dabei weiße Schleimfäden.
»Widerlich riechst du!«, sagte er. »Bist nichts wert, schmeckst sicherlich nicht. Bäh!«
Gofannon erinnerte sich. Dies war Cor, der Spriggans. Eines jener Wesen, das Bandorchu freiwillig in die Verbannung gefolgt war. Cor entstammte einer uninteressanten, vernachlässigenswerten Rasse, deren Spuren sich irgendwo in den sumpfigen Bereichen der Anderswelt verliefen, in denen seit langer Zeit die Ignis Fatui herrschten.
Der Spriggans gaffte ihn an. Seine Blicke erzeugten einen unangenehmen Sog, förderten irgendetwas in ihm zutage.
»Sehr interessant, alter Gott«, sagte Cor. Er schrumpfte vor Gofannons Augen zusammen und wurde so klein, dass er selbst neben dem Kau winzig wirkte. »Dein Zusammentreffen mit den Menschen schafft etwas Neues in dir.«
»Was meinst du damit?« In Gofannons Kopf drehte sich weiterhin alles. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – sie vermengten sich, wurden eins, wurden zu einer Brühe aus ungeordneten Eindrücken.
Cor grinste. Sein Maul zeigte scharfe, spitze Zähne. »Mag sein, dass du mir eines Tages munden wirst. Du entwickelst Lebenskräfte, die gut riechen und sicherlich auch gut schmecken. Ich hätte schon jetzt große Lust, dich auszusaugen ...« Er packte Gofannon am Rockärmel und zog ihn mit seinen erstaunlichen Kräften aus der Schlafnische. »Aber jetzt komm mit; die Königin will dich sprechen.«
Der alte Gott hatte in der Tat lange geschlafen. Wiederum war das Schloss der Königin verändert. Er war es müde, die immer detaillierteren und facettenreicheren Gestaltungen im Zeitenlauf gegeneinander abzuwägen und sich ein Urteil zu bilden. Was kümmerte es ihn? Es war ihm ohnehin nicht erlaubt, sich hier heimisch zu fühlen.
Der Einfluss des Getreuen war deutlich zu spüren. Er unterstützte Bandorchu und schuf mit ihrer Kraft auf eine sehr subtile Art und Weise ein Reich im Reich des Dunkels. Gofannon seufzte tief und rasselnd, als er daran dachte, dass der Getreue jene Rolle einnahm, die er selbst so gerne gespielt hätte.
»Wir wollen dich wieder ins Menschenreich schicken«, sagte die Königin anstatt eines Grußes. »Du wirst Eindrücke sammeln und nach jenen Kraftlinien suchen, die die Erde wie ein Netz überziehen. Das Wissen über diese vergessenen Kräfte mag uns eines Tages von großem Nutzen sein.«
»Du weißt, Herrin, dass ich in meiner Bewegungsfreiheit äußerst eingeschränkt bin«, sagte Gofannon matt. »Der Fluch ...«
»Interessiert mich nicht.« Bandorchu winkte ungeduldig ab. »Du wirst selbstverständlich der von Fanmór vorgegebenen Rolle entsprechen. Dies hindert dich aber nicht daran, währenddessen die Augen offen zu halten. Mein geliebter Feind hat den Boon sicherlich so formuliert, dass du ausschließlich im Zentrum irdischen Geschehens landest. Schließlich wollte er dir mit seinem Fluch größtmögliche Schmerzen zufügen.«
»Ja, meine Königin.« Gofannons Stimme zitterte.
»Du wirst mir gehorchen, nicht wahr?« Bandorchu richtete sich auf. Ein Windhauch, zart und von ihrem unvergleichlichen Körper- und Geistesgeruch begleitet, umwehte Gofannon. Er atmete tief durch, ließ das prickelnde Gefühl ihrer Nähe auf sich einwirken. Momente blieben ihm, da er sich der Königin intim und nahe fühlen durfte. Augenblicke, da sie ihm vortäuschte, dass ihr Interesse an ihm noch nicht ganz erloschen war.
Gofannon zog es vor, sich der Lüge Bandorchus hinzugeben.
Falsche Hoffnung
, so dachte er,
ist immer noch besser als gar keine Hoffnung
.
»Brav, mein Hündchen«, sagte sie und setzte sich wieder.
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