Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
Leichen im Knast gehabt, und das wäre dann wirklich schwierig zu erklären gewesen. Nadja vermutete, dass auch dem Getreuen nicht daran gelegen war, zu sehr die Aufmerksamkeit der Menschen zu erregen. Die Komafälle hier und in Paris waren unerklärliche medizinische Phänomene, das konnte noch einigermaßen akzeptiert werden. Aber wenn auf einen Schlag um die dreißig Menschen tot umfielen und innerhalb von Minuten verwesten, deutete das ganz sicher auf etwas Unnatürliches hin.
Mit den Geistern voran stolperten sie die Treppe hinunter. Ein Rest Magie musste noch vorhanden sein, denn ähnlich wie Poltergeister konnten Byron und Casanova kleine Streiche spielen, indem sie Hüte von Köpfen schubsten oder leichte Gegenstände umwarfen, um die Menschen abzulenken. Darüber amüsierten sie sich wie Lausbuben und schienen sehr glücklich, endlich einmal wieder »fast am Leben« zu sein. Nadja vermutete, dass ihre Energie an all den magischen Strömungen lag, die heute zusammenkamen – der Sturm des Getreuen, die Ley-Linie, der Zusammenbruch von Pieros Bann, da schwirrte sicherlich noch einiges umher, bevor es sich auflöste. Und das kam auch einmal freundlichen Geistern aus alter Zeit zugute.
»Es ist wie eine Aufbruchstimmung«, bemerkte Byron, der überhaupt nicht mehr finster wirkte. »Diese Stadt ist einfach phänomenal.«
»Was soll ich sagen? Das ist eben Venedig!«, kicherte Casanova und stierte begeistert einer Rokokodame in den tiefen Ausschnitt.
»Nadja …«
»Später, David. Später.«
»Da winkt einer«, bemerkte Casanova und deutete voraus.
Am Seitenportal stand der Majordomus und wedelte aufgeregt mit dem Arm. Augenblicklich steuerte Nadja mit David auf ihn zu. »Schnell, schnell«, flüsterte er, »der Moment ist günstig! Die Polizei will niemanden von der Insel lassen, bevor nicht alle befragt worden sind. Sie haben momentan genug mit denjenigen zu tun, die sich nicht einsperren lassen wollen.« Er deutete zu einer kleinen Seitentür abseits des Portals. »Dort hinaus, und rechts über den Park zum Pier. Nehmt euch ein Boot.« Er reichte ihr einen Zündschlüssel. »Egal welches, das ist ein Universalschlüssel.«
Nadja drückte kurz seinen Arm. »Danke«, flüsterte sie. »Kümmern Sie sich jetzt um Ihre Tochter.«
»Uns geht es gut, Nadja, dank Ihnen. Ob wir nun heute oder morgen die Insel verlassen, ist mir ganz gleich.« Alle Traurigkeit war aus den Augen des Mannes verschwunden, er strahlte vor neuem Lebensmut. Neugierig betrachtete er David, der halb in Nadjas Arm hing. »Und das ist Ihr Freund?«
Nadja nickte. »Sagen Sie es nicht weiter, aber er ist ein Elfenprinz. Ihre Tochter hat die Wahrheit gesagt.« Sie zwinkerte dem Mann zu, dann schleppte sie David auf den Ausgang zu.
Casanovas Kopf lugte von draußen durch die Tür. »Die Luft ist rein, kommt schnell!«
»Ich muss die Tür erst aufmachen, Casanova.«
»Oh, Entschuldigung, das vergesse ich immer wieder.«
Draußen herrschte nicht minder Trubel. Überall waren Scheinwerfer aufgestellt, Hunde wurden auf Fährten geschickt, und der gesamte Park umgegraben. Befehle wurden in alle Richtungen gebrüllt, die vermutlich bis in die Stadt zu hören waren.
Der Sturm hatte sich tatsächlich gelegt, es war absolut windstill, sternenklar und frostig kalt. Die Lichter von Venedig glitzerten übers Wasser, und Nadja atmete befreit auf. Sie hatten es fast geschafft.
Byron und Casanova verabschiedeten sich ohne lange Zeremonie bei der nächsten Laterne.
»War uns ein Vergnügen, meine Liebe!«
»Auf ein fröhliches Wiedersehen, liebste Freundin.«
Nadja und David humpelten weiter; der Pier war schon ganz nahe. Einige Wachen standen dort herum, aber mit denen würde sie auch noch fertig. Wäre ja gelacht.
Da weiteten sich ihre Augen, als sie ein Boot treiben sah, das eindeutig nicht hierher gehörte. Es war blau und rot und gehörte dem Nachbarn der Ca’ d’Oreso; Nadja erkannte es am Namen:
Dahlia
.
Die beiden Wachen wandten sich von ihr ab, zündeten sich eine Zigarette an und hielten ein Schwätzchen.
»Hast du das gemacht, David?«, wisperte Nadja, da hörte sie eine piepsende Stimme zu ihren Füßen: »Nee, ich. Kommt schnell!«
»Pirx«, hauchte sie.
»Psst, psst, Fabio ist auch da, er hat uns hergebracht.«
Nadja sah im Scheinwerferlicht kurz ein rotes Mützchen aufblitzen. Als sie den Pier erreichten, kam Fabio ihr entgegen und nahm David in Empfang. Wortlos kletterten sie ins Boot, stießen sich ab und ließen sich kurz
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