Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
»Du meinst, ich habe mir ein geklautes Ding andrehen lassen? Aber wo liegt da der Sinn? Ich habe nur fünfzig Euro bezahlt und sogar den Kassenzettel samt einer kleinen Touristenmaske dazubekommen.«
»Cara, du bist mir ein Rätsel«, bekannte Giorgio. »Kaum fünf Minuten hier, schon steckst du mitten im Schlamassel. Aufregender als mein Leben, obwohl ich Italiener bin. Ist das bei dir üblich?«
»So langweilig sind wir Deutschen auch wieder nicht …«
»Ich gebe dir einen guten Rat: Zeig die Maske niemandem, und ich will auch nicht mehr darüber reden. Es gibt Dinge, die möchte ich nicht weiter verfolgen, auch wenn das für einen Reporter seltsam klingen mag.«
Nadja war jetzt sichtlich besorgt. Obwohl die Verkäuferin sie ihr so sehr aufgedrängt hatte, entschied die junge Journalistin, ihr die Maske doch zurückzubringen. Heiße Ware wollte sie unter keinen Umständen mit sich herumtragen. »Pass bloß auf, dass du deine Kinder nicht mit Schauergeschichten aufziehst, Giorgio!«, warnte sie, um ihren neuen Freund abzulenken.
»Es ist eine magische Stadt«, brummte der Reporter. »Würde mich nicht wundern, wenn mitten unter uns Geister herumlaufen.«
4 Der Schmerz
der Offenbarung
Der Maskenladen hatte geschlossen, obwohl die Öffnungszeiten etwas anderes sagten. Drinnen brannte kein Licht, nichts regte sich. Stumm hingen die Masken an den Wänden und auf Ständern. Verärgert drehte Nadja an der Tür um. Wie es aussah, wurde sie die Maske, nachdem sie zuerst nicht mit ihr mitwollte, nicht mehr los. Nun gut, dann würde sie sie eben den Elfen schenken, als Erinnerungsstück aus der Menschenwelt.
Gegen vier Uhr nachmittags kehrte Nadja in die Ca’ d’Oreso zurück. Die Sonne war bereits auf dem Weg in ihr Bett im Westen, und die Straßen leerten sich ein wenig. Viele Leute trugen Einkaufstüten. Alte Damen, die von jedermann respektvoll mit
Nonna
angesprochen wurden, hielten auf dem Nachhauseweg ein gut gelauntes Schwätzchen, und die Männer trafen sich zu Espresso und Corretto in den Bars. Es wurde schnell kühl, je tiefer die Sonne sank, und Nadja fröstelte. Jetzt einen heißen Tee, eine Leckerei von Grog dazu und anschließend Notizen in den Laptop getippt. Danach wollte sie eine Strategie überlegen, wo die Suche nach David beginnen sollte, und sich morgen auf den Weg machen.
Auf dem oberen Treppenabsatz vor der Haustür hockte ein hübscher schwarzer Kater mit gelbgrünen Augen und miaute sie an. »Na, du?«, sagte Nadja freundlich zu ihm. »Kein Zuhause? Das glaube ich nicht, dafür bist du viel zu wohlgenährt und gesund.«
Der Kater streifte schnurrend um ihre Beine, und Nadja konnte dem Impuls nicht widerstehen, das Tier zu streicheln, das sein Wohlbehagen darüber deutlich machte und den Kopf an ihrer Hand und ihrem Bein rieb. Er musste noch jung sein, denn seine spitzen Zähne waren strahlend weiß. Kein weißes Haar war an ihm, selbst Nase und Lippen waren schwarz. Leise maunzte er und lief zur Tür, als Nadja den Schlüssel hervorzog. »O nein«, lächelte sie, »bei uns gibt es nichts für dich. Geh nach Hause, wo du hingehörst, damit dich niemand vermisst.«
Der Kater blickte sie aus weit geöffneten Augen an und maunzte noch einmal, dann schritt er würdevoll mit hoch erhobenem Schwanz davon.
Nadja schaute ihm lächelnd nach und bedauerte fast, ihn abgewiesen zu haben. Dann sperrte sie endlich auf und betrat das Haus zum ersten Mal durch den Vordereingang. Es war ein seltsames Gefühl, weil es
ihr
Haus war. Auch, wenn sie noch lange nicht darüber entschieden hatte, konnte sie die Empfindungen nicht einfach beiseiteschieben. Sie hatte sich bisher nie vorgestellt, einmal ein eigenes Haus zu haben, am Ende sogar noch mit Familie. Ungebunden und heute hier, morgen dort sein zu können, dank ihres Jobs größtenteils bezahlt – das war stets ihr Lebensziel gewesen und hatte ihr Freude gemacht. Doch jetzt kam ungewollt immer mehr Verantwortung auf sie zu.
Sie durchquerte die Eingangshalle und betrat den Wohnraum, um als Erstes nach Rian zu sehen. »Ich bin wieder da«, wollte sie sich ankündigen, doch sie kam nicht dazu.
Rian und Fabio, die sich gerade umarmten, fuhren auseinander und sahen Nadja erschrocken an.
Alles Blut wich aus Nadjas Gesicht und sie ließ die Tüte fallen. »Was läuft hier?«, fragte sie in aufkeimendem Zorn.
Fabio hob leicht die Hände. »Überhaupt nichts, Nadja, ich …«
»Willst du sagen, es ist nicht so, wie es aussieht?«, unterbrach sie
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