Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
sagte Nadja auf Deutsch, der es allmählich zu bunt wurde.
Die beiden Männer fuhren erschrocken zusammen, fast hätten sie aufgeschrien. Jeder tastete nach dem Arm des anderen, ihre Münder schnappten auf und zu. Wären sie jünger und gesünder gewesen, sie hätten wahrscheinlich das Weite gesucht, doch so zogen sie es vor, zur Salzsäule zu erstarren. Das konnte nicht gespielt sein, nicht so intensiv und überzeugend.
Nadja merkte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. »Ihr seid es wirklich …«, flüsterte sie.
»Potz Blitz, die Maid hat mich erschreckt«, keuchte der Perückenmann und griff sich an den Hals. »Das Herz sprang fast mir aus der Brust. Wie ist’s passiert, dass sie uns sieht und hört und spricht, sodass ich sie versteh’?«
»Das wäre auch meine Frage«, äußerte sich der Dandy weniger poetisch und theatralisch.
»Ich … ich bin eine Grenzgängerin«, stammelte Nadja.
»Das ist es nicht allein«, sagte er bestimmt.
»Nun aber Schluss mit den schlechten Manieren!«, mahnte sein Begleiter. »Haben wir alle gute Erziehung vergessen?« Er verneigte sich schwungvoll vor Nadja. »Giacomo Girolamo Casanova, zu Diensten, meine Teure«, stellte er sich vor. »Geboren im Jahre des Herrn 1725 in Venedig, doch nicht hier verstorben.«
Der Dandy deutete eine Verneigung an. »George Gordon Noel Byron, sechster Lord Byron of Rochdale, wenn’s beliebt. Geboren 1788 in London, eine Weile in Venedig wohnhaft, gestorben kaum später in Griechenland, als man mir alles Blut aus den Adern ließ, was selbst einem Mittdreißiger nicht wohl bekommt.«
Wenn Robert doch nur hier wäre
, dachte Nadja fassungslos.
Das wäre ganz nach seinem Geschmack, denn es ist zu grotesk. Am liebsten würde ich in Ohnmacht fallen
. »Ich bin Nadja Oreso«, sagte sie. »Geboren vor fünfundzwanzig Jahren in München, und nun auf der Suche nach meinen venezianischen Wurzeln.«
»Venedig ist der Welt bedeutendster Ort für bedeutende Persönlichkeiten«, sagte Casanova lächelnd. »Zuletzt traf ich noch den geölten Tizian und den Murrkopf Goldoni, auf amüsante Weise im selben Bild vereint.« Er lachte schallend über seinen schlichten Scherz.
»
Du
bist der Grund, warum wir hier sind«, sagte Byron zu Nadja. »Der Glanz, der dich umgibt, ist anderweltlich.«
»Ich suche einen Freund, der ist Elf«, erklärte Nadja ausweichend.
Byron reckte sich. »Elfen färben nicht ab. Du selbst hast Elfenblut und bist die Verbindung zwischen allen Welten. Und das ist dir bewusst, sonst könnte ich es nicht so deutlich sehen.« Er klopfte mit dem Stock aufs Pflaster. »Was erwartet man von uns, dass wir uns in Venedig wiederfinden?«
»Uns zieht’s doch immer wieder her.« Casanova lächelte heiter. »Wir alle haben einst hier gelebt, in der Stadt des Todes, und so bannt sie uns noch immer.«
»Ist das mit allen Toten so?«, fragte Nadja vorsichtig.
»Aber nein, aber nein, nur mit denjenigen, die man nicht vergisst.« Casanova deutete mit dem Daumen zuerst auf Byron, dann auf sich. »Wir werden heute noch gelesen, so sind wir unsterblich. Gewissermaßen.«
Nadja entspannte sich ein wenig. Mit Geistern zu plaudern, konnte durchaus angenehm sein. Sie erinnerte sich an das Gespräch mit dem Gondoliere unter der Seufzerbrücke. »Signor Casanova, ist das wahr mit Ihrer Flucht aus dem Kerker des Dogen?«
»Gewiss, leichtfüßig wie ein Böckchen bin ich auf und davon übers Dach des Nachbarhauses.« Casanova pfiff und machte eine Flugbewegung mit der Hand.
»Den anschließenden Hüftschmerz, die Prellungen, angebrochenen Rippen und wochenlange Impotenz aus Schwäche verschweigen wir besser«, fügte Byron grinsend an.
Casanova strafte ihn mit einem düsterblauen Blick und fuhr fort: »Seitdem spricht man von der Seufzerbrücke, weil der Doge es nicht verwinden konnte, dass ich ihm entschlüpfte. Nun ja, bald war’s dann auch mit der Republik zu Ende. Der Doge selbst entkam nur mit Mühe seinem eigenen Kerker und entließ darob einen letzten Seufzer. Inzwischen hat sich’s ausgeseufzt, von jungen Damen abgesehen, die heutzutage darunterweg in der Gondel den Liebesschwüren ihres italienischen Verführers lauschen, der auf lächerliche Weise versucht, die Grandezza eines Casanova zu imitieren.«
Nadja konnte nicht anders, sie musste lachen. Casanovas heitere Art war ansteckend; kein Wunder, dass er ein vielgerühmter Abenteurer und Frauenverführer war. Er hatte verstanden, das Leben selbst zu einem Abenteuer zu machen.
Byron
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