Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
Art Sekte, Teufelskult, was auch immer. Wir haben ihn gewarnt, aber er fand es recht lustig und so harmlos wie die Live-Rollenspiele, wo sich Spieler an Wochenenden im Wald treffen und mit Plastikkeulen aufeinander eindreschen. Er ist zu einem Treffen hierher gefahren und gesund angekommen, aber dann haben wir nichts mehr von ihm gehört. Ich glaube, die wollen irgendein Ritual durchziehen. Vielleicht hat David aussteigen wollen, und jetzt halten sie ihn fest. Ich will nicht darauf warten, ob und wann sie ihn wieder freilassen.«
Giorgio runzelte die Stirn. »Was sagt die Polizei?«
»Was sollen wir der erzählen? Die würden uns wieder wegschicken mit dem Hinweis, dass David abgehauen ist. Die wollen Beweise.«
»Aber das könnte auch für dich gefährlich werden.«
»Wenn ich weiß, wo David steckt, kann ich die Polizei informieren. Ich bin Profi, Giorgio.«
»Mhmm. Das erklärt aber immer noch nicht …«
»In welchem Zusammenhang die Komafälle stehen, kann ich dir nicht sagen. Ich weiß nur, dass es in Paris ähnliche Fälle gab, die ebenso schnell wieder aufhörten, wie sie begannen.«
»Und warum hast du gekotzt?« Giorgio bestellte zwei Kaffee.
»Ich habe gestern zu wenig gegessen und zu viel getrunken. Außerdem habe ich fast nicht geschlafen.« Nadja seufzte. »Auf der Rialto-Hochzeit habe ich einen Jungen gesehen, der einer dieser Komafälle sein könnte. Gleichzeitig habe ich mich erinnert, mit jemandem getanzt zu haben, der mir bekannt vorkam. Als mir heute das Gesicht nochmal vor Augen stand, merkte ich, wie sehr es meinem Stalker ähnelte, und das gab mir den Rest. Erst als das Frühstück wieder draußen war, erinnerte ich mich daran, dass er ja im Knast sitzt und mir nicht mehr zu nahe kommen kann.«
Sie hob die Schultern. »Man wird paranoid, weißt du, und sieht das Gesicht des Feindes überall. Der Psychologe hat mir schon gesagt, dass das eine Weile dauern wird. Er riet mir auch, darüber zu reden, wenn es mich überkommt, damit der Kerl keine Macht mehr über mich hat.«
»Verstehe.« Giorgio rieb sich das Kinn. »Ja, das ist eine schlimme Sache. Tut mir sehr leid für dich, ich habe so etwas schon bei einer Reportage beobachtet. Die Opfer verhielten sich ganz ähnlich wie du. Du bist momentan wohl nicht zu beneiden.«
Nadja lächelte verlegen. Giorgio glaubte ihr. Die Geschichte war also gut, wahrscheinlich, weil sie nah an der Wahrheit war. Sie sollte bei ihr bleiben. Denn je länger die Suche dauerte, ob nun nach David oder dem Quell, würde es zusehends schwieriger werden, die einbezogenen Menschen nicht misstrauisch zu machen. Dadurch erklärte sich jegliches seltsame Verhalten, das Nadja unweigerlich an den Tag legte. Sie hatte Giorgio gestern schon ein paar Mal misstrauisch gemacht. Und ganz ohne Hilfe konnte Nadja nicht auskommen. »Ich nehme an, dass ich mich deswegen auch so um David sorge. Wir sind alle Geschädigte, weißt du. Deshalb kommen bei uns so viele seltsame Geschichten zusammen.«
»Und warum suchst du einen Goldmacher?«
»Diese Kultleute versuchen sich in Alchemie. Das ist derzeit wieder ganz groß im Kommen, vor allem die Masche mit dem „Blei in Gold verwandeln“. Die Jungs müssen ein Vorbild haben.«
»Gutes Argument. Dazu fällt mir nur einer ein, der berühmteste von allen, weil er ein Windhund war. Du hättest eigentlich selbst auf ihn kommen müssen. Komm, wir gehen in die Redaktion zurück, dann zeige ich ihn dir.«
»Cagliostro?«, rief Nadja entgeistert und starrte auf den Ausschnitt eines Magazins mit einem Artikel über den Hochstapler, den Giorgio aus dem Archiv gefischt hatte. »Das ist nicht dein Ernst. Der Kerl ist erstens schon Jahrhunderte tot, zweitens war er nur ein Scharlatan!«
»Ja, doch er fasziniert noch immer.« Giorgio tippte auf das Porträt eines Mannes aus dem achtzehnten Jahrhundert, mit der typischen Perücke und den Pausbacken. Seine tief liegenden Augen allerdings hatten etwas Beunruhigendes, Düsteres.
»Es gab viele berühmte Alchemisten«, fuhr der Reporter fort. »Paracelsus, Isaac Newton, Friedrich von Preußen und Venedigs berühmter Sohn Casanova, ein Zeitgenosse Cagliostros.«
»Wirklich …« Hatte Casanova es nicht selbst gesagt? Man hatte ihn in die Bleikammer gesteckt, weil man »ihn nicht recht verstand«. Vornehme Worte für das, wofür er tatsächlich gehalten wurde! Kein Wunder, dass er als Geist erschienen war, zusammen mit Byron, dem Meister des Grusels und Auslöser von Mary Shelleys Frankenstein.
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