Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
Aufgeregt rieb sie sich die Nase. »Ich glaube, du hast recht …«
»Und wie. Cagliostro ist das ideale Vorbild für picklige Teufelsanbeter. Giuseppe Balsamo, der sich selbst Alessandro Graf von Cagliostro nannte, stammte aus ärmlichen Verhältnissen in Sizilien. Er war von Anbeginn ein Hochstapler, Täuscher und Betrüger – und Frauenheld. Er bereiste Europa und den Orient und schuf sich einen weithin bekannten Ruf, unter anderem auch als Gründer der einen oder anderen Freimaurerloge. Auch mit den Illuminati soll er zu tun gehabt haben. Darüber hinaus versuchte er sich in magischen Künsten, unter anderem darin, Gold aus Blei zu gewinnen. Wegen der ähnlichen Eigenschaften der beiden Metalle.«
»Aber es konnte nicht funktionieren«, warf Nadja ein. »Denn Blei bricht Magie. Die alchemistische Umwandlung in Gold ist daher nicht möglich. Selbst eine Synthese gelingt nicht.«
»Blei bricht Magie? Sehr wissenschaftlich, Frau Kollegin.«
»Wissenschaftlich betrachtet schirmt es Röntgenstrahlung ab, Giorgio, und das ist noch nicht alles. Es ist ein hochgiftiges Schwermetall.«
»Aber die Edelmetallgewinnung durch Transmutation hat mit keinem Metall funktioniert.«
»Nein, doch Blei macht auch alle anderen Experimente zunichte und fördert bei steigender Vergiftung schon durch den reinen Umgang mit ihm halluzinogene Zustände. Cagliostro hat möglicherweise daran
geglaubt
, ein Alchemist zu sein.«
»Möglich. Und Lorenza Feliciani, sein ihm angetrautes römisches Weib, unterstützte ihn in der Herstellung von Liebespülverchen, Verjüngungselixieren und dergleichen. Lorenza war ebenso schön wie skrupellos, wahrscheinlich hat sie ihn immer mehr in den Magiewahn hineingetrieben. Die beiden waren einander völlig verfallen und ergänzten sich daher. Sie machten ganz Europa mit ihren Betrügereien unsicher.«
Nadja strich sich das Haar aus der Stirn. »Waren sie auch in Venedig?«
»Natürlich«, antwortete Giorgio. »Die Stadt war damals noch Republik und das Tor zur Welt. Der Conte del Leon hat sogar einmal eine Ausstellung in einem Museum organisiert, die sich nur um Cagliostro drehte. Dazu hat er Exponate aus ganz Europa ausgeliehen, ein paar davon stammten auch aus Venedig.«
Nadja wurde hellhörig. Der Name »Leon« ließ Alarmglocken in ihr läuten.
Löwe?
Konnte das Zufall sein? »Wer ist das?«
Giorgio führte aus: »Piero del Leon gehört einem alten Adel an. Er lebt auf seiner Privatinsel Tramonto, draußen in der Lagune, und verlässt sie so gut wie nie. Um ihn gibt es einen ganzen Hofstaat, der ebenfalls unter sich bleibt. Er soll märchenhaft reich sein und Orgien ohne Unterlass feiern. Ab und zu stiftet er etwas oder organisiert einen Wohltätigkeitsball, um gute Presse zu bekommen und von den Oberen Zehntausend anerkannt zu werden.«
Nadja schmunzelte. »Du magst ihn nicht.«
»Niemand mag ihn, Nadja. Wenn du mich fragst, ist die ganze Familie nicht dicht, aber bei dem edlen Namen wagt es keiner, zu abfällig zu reden. In der Stadtgeschichte ist verzeichnet, dass seine Familie mit dem Teufel paktiert haben soll, um den Tod von Tramonto fernzuhalten. Piero tut alles dafür, diesen Aberglauben aufrecht zu erhalten und sich ins Rampenlicht zu stellen, umgeben von Mythen und Geheimnissen. Er ist ein echter
stronzo
.«
Es gab einen Knall, als Nadja aufsprang und der Stuhl davonflog. »Den muss ich kennenlernen!«, rief sie.
»Kannst du nicht«, sagte Giorgio. »Niemand darf ohne seine Erlaubnis auf die Insel. Und es wird dich keiner rüberfahren, selbst wenn du ihm tausend Euro zahlst. Alter Adel hin oder her, die Leute meiden die Leons, wo es nur geht. Die Neureichen natürlich nicht; die sind ja wild auf solche Überalterten, weil sie sich einbilden, sich mit Kultur und Tradition zu umgeben. Also mit einer Vergangenheit, die sie selbst nicht haben.«
»Und das schreibst du in deinen Reportagen?«
»Natürlich nicht, ich will ja nicht arbeitslos werden.«
Nadja lachte. »Kann ich mich wenigstens in die Geschichte der Leons einlesen?«
»Na, sicher. Ich gebe dir Zugang zum Archiv; wir haben einiges gesammelt, da wir immer wieder was über die Leons bringen. Steigert die Auflage.«
Die Wurzeln des Hauses del Leon datierten von 1775, unter nicht ganz geklärten Umständen. Offensichtlich hatte sich eine venezianische gutbürgerliche Familie um irgendetwas verdient gemacht und ihr sechsjähriger Sohn Piero wurde der erste Conte del Leon. Sein gräflicher Besitz umfasste zunächst nicht
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