Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
die grausamste Tat trifft uns so tief, dass Narben zurückbleiben.«
»Außer, man entwickelt eine Seele.«
»So ist es.« Fabio wischte sich über die Stirn. Er wirkte müde. »Wo war ich stehen geblieben?«
»Bei Laetico.«
»Ach ja. Sagte ich bereits, dass er sein Augenlicht niemals wiederbekam?«
»Trotz der Möglichkeiten elfischer Magie?«
»Trotz der Heilkünste des wiedererweckten Vonlant und trotz der Hilfe der fähigsten Magier aus dem Reich Earrach. Eirinyas Zerstörungswerk war absolut. Ersatzaugen, die die Heiler in die Höhlen einsetzen wollten, wurden abgestoßen, ob magisch oder nicht. Zerstört. Zerschmolzen.« Fabio atmete tief durch. »Vonlant sorgte dafür, dass Laetico ein glühendes Stück Kohle in die rechte Augenhöhle eingesetzt bekam, das mit starker Magie durchwirkt war. Wenn du erlaubst, werde ich dir erst später erklären, was es mit diesem ... Ersatzauge auf sich hat.« Er seufzte. »Irgendwann fand sich Laetico mit seinem Schicksal und den Schmerzen ab. Er entwickelte sich zu einem besonders Charakter- und willensstarken Herrscher, der seine Mängel durch andere Qualitäten mehr als wettmachte. Elfen sperren sich normalerweise gegen Wesen, die nicht perfekt sind. Äußere Werte sind von ganz besonderer Bedeutung. Dennoch lernten sie meinen Freund zu achten. Er brachte Escur trotz der widrigen Umstände wieder zum Erblühen, und im Kampf gegen Gwynbaen spielten die Elfen von Tiollo herausragende Rollen.«
»Lebt Laetico noch?«
Fabio zögerte. »Es ist seitdem viel Zeit vergangen. Selbst in der Anderswelt ändern sich manche Dinge ...«
»Das ist keine Antwort.«
»Ich gebe sie dir später, zum richtigen Zeitpunkt. Wie du weißt, war ich jahrhundertelang geächtet. Ich hatte während all dieser Jahre kaum eine Möglichkeit, Kontakt mit ... zu Hause aufzunehmen.«
»Na schön.« Nadja schluckte. Fabio wich ihr aus. Und er hatte offenbar gewichtige Gründe dafür. »Wie ich sehe, willst oder kannst du mir nicht mehr über Escur erzählen. Aber wie ging es mit
dir
weiter?«
»Ich machte Bekanntschaft mit Fanmór und wurde auf den Hof im Baumschloss eingeführt. Gerüchte eilten mir voraus, dass ich ... anders sei. Niemand nahm das Wort
Seele
in den Mund – aber es gab gewisse Vermutungen, dass ich sehr gut mit den Menschen könne. Was mich in den Augen des elfischen Hochadels als verachtenswert erscheinen ließ, bei der holden Damenwelt allerdings ein gewisses Interesse erweckte.«
»Oh nein.« Nadja verdrehte die Augen. »Noch mehr Weibergeschichten?«
»Aus deinem Mund klingt das sehr seltsam.« Fabio lächelte schmallippig. »Aber glaube mir: Seit meinem Zusammentreffen mit Estella war ich an schnelllebigen Affären nicht mehr interessiert. Und Elfinnen sind selten in der Lage, etwas anderes zu bieten ...«
Eine Zeit lang trieb ich mich in der Anderswelt herum, wo ich nach Eirinya suchte. Ich fand ihre Spur und erwarb vom Herrn November das Recht, die ehemalige Königin für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen. Doch das ist eine andere Geschichte, über die ich heute nichts mehr erzählen werde ...
Die meiste Zeit verbrachte ich mit Cucurr bei der Jagd, fernab von allen Lebewesen. Ich wollte mit mir selbst ins Reine kommen.
Viele Elfen besitzen bestimmte Gaben. Manche von uns sind heilkundig. Andere verstehen sich auf besondere Formen der Philosophie, die sich mit der Natur aller Dinge beschäftigen. Eine Reihe von uns erreicht besondere Fertigkeiten im Kampf oder in der Herstellung von wundersamen Gegenständen, Waffen und dergleichen.
Meine Entwicklung war früh stecken geblieben. Außer einer ganz besonderen Überzeugungskraft – und einer gewissen Anziehung, die ich auf Frauen ausübte – hatte ich nichts vorzuweisen. Meine Seele verhinderte den elfischen Reifeprozess. Ich würde niemals wie Vonlant, der steinerne Heilelf, oder wie Cairlach, der Baum gewordene Naturelf, in die Zeitlosigkeit der Anderswelt eintauchen und zu einem der ganz Großen werden. Zum Kämpfer oder gar zum Führer über ein kleines Reich fehlte mir die Reife. Und die Sicherheit, denn ich lebte mit der Angst vor dem Versagen. So, wie ich Pieva und Viriatus gegenüber versagt hatte.
Ich nahm zur Kenntnis, dass ich durch die Umstände zum Wesen zwischen zwei Welten geworden war. Ich wehrte mich gegen diese Vorstellung, wollte nicht wahrhaben, was mir das Schicksal zugedacht hatte. Doch irgendwann gab ich den Widerstand gegen mich selbst auf. Konnte ich aus einem vermeintlichen Nachteil
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