Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
zurück in die Waagrechte. Hinter den dunkeln Wolkenbänken lugte die Sonne hervor. Sie stand nun hinter ihnen und warf ihre Strahlen schräg ins Innere des Flugzeugs. Als das Anschnall-Schild erlosch, ging ein kollektives Aufatmen durch die Passagierräume. Die Stewardess servierte Nadja und Fabio ein Gläschen Sekt. Mit betont ruhiger Stimme entschuldigte sie sich für die Unannehmlichkeiten. Sie hatte eine dicke Schicht Wangenrouge aufgetragen. Darunter war sie blass; auch ihr war der Schreck in die Glieder gefahren.
Immer wieder blickte Fabio auf seine Uhr. Nadja hatte ihn selten zuvor so nervös gesehen. Die Umkehr schlug ihm aufs Gemüt. Kein Wunder: Der Getreue war ein Wesen, vor dem man einfach Angst haben musste. Doch hinter der Aufregung ihres Vaters steckte mehr, dessen war sie sich sicher.
»Diese Verzögerung hat auch einen Vorteil«, sagte sie leise.
»Und zwar?« Fabio lächelte gezwungen.
»Du kannst deine Geschichte in aller Ruhe fertig erzählen. Eben hast du an der spannendsten Stelle abgebrochen.«
»Ach ja?« Ihr Vater stellte sein Glas beiseite. »Nun – mir wäre lieber, ich könnte den nächsten Teil meiner Erzählung auslassen.«
»Bis vor wenigen Stunden glaubte ich, meinen Vater zu kennen«, sagte Nadja streng. »Nun stellt sich heraus, dass er eine elendslange Geschichte besitzt, Streit mit Göttern hatte und eine Feindschaft mit einer Elfenkönigin pflegte, mit der er zuvor geschlafen hatte.« Nadja hielt inne, dachte angestrengt nach. Um dann mit beiden Fäusten so heftig, dass sie selbst darüber erschrak, auf die Armlehnen ihres Sitzes zu schlagen. »Was ist mit meiner Mutter? Wo ist ihr Platz in deiner Geschichte? Sag es mir endlich! Du bist es mir verdammt noch mal schuldig, Vater!«
Fabio blickte an ihr vorbei durchs Bullauge. Dorthin, wo Sizilien von dichten Wolkenbänken eingepackt war. Er schwieg lange, dann seufzte er tief. »Du hast recht, Fiorellina. Aber verzeih mir, wenn ich ein paar Details der Geschichte für mich behalte. Manche Erinnerungen sind zu ... intensiv. Ich möchte sie nicht hochkommen lassen.«
»Na gut. Mach, wie du es für richtig hältst.«
Mit einem Mal wirkte ihr Vater alt. Die Last eines mehr als 2000 Jahre andauernden Lebens drückte auf sein Gemüt. Sicherlich hatte er viele Details vergessen und verdrängt. Andere wiederum hatten sich schmerzhaft in sein Gedächtnis gebrannt und wollten einfach nicht mehr verschwinden, sosehr er es auch wollte.
Träumte Fabio? Dachte er immer noch an Estella, an jene Frau, die seine Seele geformt und die Liebe in ihm geweckt hatte? Fühlte er die Schatten an seinen Beinen? Hatte er die Angst vor den Annuna-Göttern jemals überwunden?
»Wenn du erlaubst, möchte ich die Rückeroberung Escurs aus meiner Erzählung aussparen.« Fabio schloss die Augen, während er weitererzählte. »Es reicht zu wissen, dass wir den Kämmerer Quantipot töteten und all die bösen Geister, die Eirinya heraufbeschworen hatte, aus dem Land vertrieben. Viele alte Elfen, die eigentlich beschlossen hatten, ihr Dasein versteinert oder in anderen Daseinsformen zu beenden, kehrten in ihre Lebenshüllen zurück. Sie vertrauten Laetico und mir Wissen über alte Zeiten an, und sie beschworen Verbündete herauf, welche die namenlosen Schattenwesen endgültig vernichteten.«
»Und die Königin?«
»Eirinya floh aus ihrem Domizil, das sich in der Nähe des Baumschlosses Earrachs befand. Sie war schlau genug, um zu erkennen, wann sie verloren hatte und nicht mehr auf die Immunität hoffen durfte, die ihr am Hof Fanmörs zugestanden worden war. Der Aufstand der Jungpalzoken verlief sich im Sand; ihre Rädelsführer flüchteten und suchten sich neue Existenzen. Als Meereswellen, als Sturmböen oder als Moosgewächse.«
»Erhielt Laetico die Lehnsherrschaft über Escur zurück?«
Fabio lächelte milde. »Ja. Mit allen damit verbundenen Verantwortungen. War das kleine Reich bis dahin schon auf Earrachs Gutdünken angewiesen, so wurde es nun vollständig in die Abhängigkeit getrieben. Laetico wurde zum Statthalter Fanmórs, mit vermehrten Pflichten und weniger Freiheiten. Die Ungezwungenheit, die auf Tiollo geherrscht hatte, war für immer dahin. Meinem Freund blieb keine andere Wahl, als auf die Forderungen des Hochkönigs einzugehen; aber ich denke, dass er letztlich gut gefahren ist.«
»Haben die Bewohner des Schlosses Laetico seine Untaten verziehen?«
»Ja. Wie ich bereits sagte: Für uns Elfen ist das Leben ein Spiel. Nicht einmal
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