Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
Römer abweisend. »Wir haben einen ernst zu nehmenden Krankheitsfall in der Familie.«
»Handelt es sich etwa um eine deiner Töchter? Um Julia?«
»J ... ja.« Gaius Albus blickte mich irritiert und erschrocken an.
Ich konnte Estella ... Julia fühlen. Ihre Anwesenheit. Ihre Nähe. Ihre Persönlichkeit. Nein, dies war keine Einbildung. Wir zogen einander an wie Magnete.
»Es scheint, dass ich an Julias Zustand nicht ganz unschuldig bin«, sagte ich, um hastig hinzuzufügen: »Ich habe sie wohl über alle Maßen erschreckt, weil wir uns ... kennen.«
»Das kann nicht sein«, sagte Gaius Albus schmallippig. »Julia hat kaum einmal meine Besitztümer verlassen. Ich bin über jeden ihrer Schritte informiert.« Er stützte sich schwer auf einen mannshohen Stab, den er an diesem Tag mit sich trug. »Was spielst du für ein Spiel, Elf? Willst du mein Familienglück zerstören? Willst du mich und die Meinen vernichten?«
»Nichts liegt mir ferner, Gaius Albus! Die wenigen Stunden unter deinem Dach waren mitunter meine glücklichsten während der letzten Jahre. Ich will dir helfen, deine Idylle unter allen Umständen zu bewahren. Ich biete dir Hilfe und Schutz an. Wir beziehen einen Teil des Lagunenrandes in unsere strategischen Überlegungen ein und damit auch deine Besitztümer. Meine Leute werden darüber wachen, dass keine Banditen oder Marodeure dein Land betreten.«
»Das ist sehr zuvorkommend.« Gaius Albus deutete eine Verbeugung an. »Was erwartest du von mir als Gegenleistung?«
»Du belieferst uns vom heutigen Tag an mit Fleisch und Gemüse. Du schaffst herbei, soviel du entbehren kannst. Zudem möchten wir die Gebiete östlich und westlich von hier roden. Wir benötigen das Holz, und wir möchten, dass du weitere Leute im Ackerbau einschulen lässt.« Ich bückte mich, griff mit einer Hand tief in den Boden und nahm schwarze Erde auf. Als ich die Hand wieder hob und zur Faust schloss, rieselte die Erde zwischen meinen Fingern hindurch. »Dieser Schatz ist weitaus wertvoller als alles Gold und Geschmeide der Welt. Eine Stadt, wie wir sie planen, benötigt ein gesundes Hinterland.«
»Wenn ihr die Bäume bis zum Ufer hin abholzt, zerstört ihr das Gleichgewicht der Natur«, sagte Gaius Albus unbeeindruckt. »Das Land wird versanden, der Regen wird ausbleiben. Wenn ihr langfristig planen wollt, dann nehmt längere Transportwege in Kauf und lasst einen breiten Waldstreifen nahe der Küste stehen.«
»Wir machen es so, wie du es für richtig hältst«, stimmte ich dem Römer zu. »Bist du also mit unserem Handel einverstanden?«
»Es ist ein gutes Geschäft für mich. Ein
zu
gutes.« Gaius Albus seufzte. »Ich habe zu wenige Tage zur Verfügung, um mich mit diplomatischen Spielchen oder Wortwechseln abzugeben. Sag freiheraus, was du
wirklich
von mir willst.«
»Ich möchte, dass du mir die Hand deiner Tochter Julia reichst«, sagte ich leise, »damit sie und ich wieder gesunden können.«
Gaius Albus erbat sich Bedenkzeit. Ich konnte sehen, wie es in ihm arbeitete. Ich war ein Elf; ein Wesen, dessen Existenz immer weiter ins Reich der Mythen und Erzählungen gedrängt wurde. Sicherlich sah er in mir einen möglichen Beschützer seines kleinen Paradieses. Doch der Gedanke, im Gegenzug für meine Unterstützung eine seiner heiß geliebten Töchter an mich zu verlieren, peinigte ihn sichtlich.
Schweren Herzens willigte ich in seine Bitte ein, ihm ein paar Tage Nachdenkfrist zu gewähren, und verabschiedete mich.
Ich ruderte zurück zur Siedlung und stürzte mich sogleich in die Arbeit. Schon die Hoffnung, meine Geliebte bald in den Armen halten zu dürfen, gab mir neue Kraft. Ich ließ die Vermessung der Lagune fortsetzen und kümmerte mich darum, dass erste Bäume gefällt und herbeigeschafft wurden. Antonius, Barchoil und all die anderen Vorarbeiter stöhnten unter meinem frisch gewonnenen Elan. Sie konnten kaum mit meinem Tempo mithalten, beschimpften und verfluchten mich. Doch ich hatte es mit einem Mal eilig. Gaius Albus würde der Vermählung zustimmen, keine Frage. Und ich wollte Julia ein Domizil schenken, das ihren bisherigen Lebensverhältnissen entsprach. Die Lagunenstadt musste so rasch wie möglich aufgebaut werden, selbst wenn wir noch so sehr unter der zusätzlichen Arbeit stöhnten.
Nahe der größten Laguneninsel stießen wir Lärchen- und Ulmenstämme ins Wasser und bohrten sie in schlammigen Untergrund. Die besten Muscheltaucher unterstützten unsere Arbeit; minutenlang hielten sie die
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