Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
hundert Jahren einen Opfertod gestorben ...
Wir legten in der Nähe von Tres Porti an. Zwei jener Menschen, die ich zur Nachtwache eingeteilt hatte, waren sogleich mit blankgezogenen Schwertern zur Stelle. Ich dankte ihnen für ihre Wachsamkeit, verabschiedete mich von Barchoil und eilte in meine kleine Hütte, die ich als einziges Privileg für mich allein beanspruchte.
Mein Körper schmerzte. Arme und Beine waren verkrampft, und der Magen rebellierte, als wäre mein Abendmahl vergiftet gewesen. Fieber packte mich und unterstrich die Vehemenz, mit der ich auf die Begegnung mit Julia reagierte. Ich warf mich auf mein Lager, wickelte den Körper in wollene Tücher und versuchte zur Ruhe zu kommen. Ein dünner Schweißfilm bildete sich auf meiner Stirn, und meine Hände zitterten wie die eines alten Mannes. Stundenlang wälzte ich mich hin und her, gequält von inneren Dämonen. Welcher Zauber war über mich gekommen? Welches rachsüchtige Wesen peinigte mich, indem es mir die Rückkehr meiner großen Liebe vorspiegelte?
Der Morgen dämmerte. Mit einer überraschenden Abruptheit, wie ich sie mittlerweile von diesem Land gewohnt war. Ich erhob mich, schüttete mir einen Eimer kalten Wassers über den nackten Leib und bemühte mich, die Kontrolle über Körper und Geist zurückzugewinnen.
Zwei Halbwüchsige hatten bereits begonnen, Wasser in einem kupfernen Kessel zum Kochen zu bringen. Frauen buken in aller Stille Brot, die Männer der letzten Wache stützten sich fröstelnd und müde auf ihre Waffen.
Marcus, der Sohn des Veliners Antonius, grinste mich schief an. »Du siehst gar nicht gut aus, Spitzohr.«
»Ich fühle mich auch nicht besonders.«
Marcus runzelte die Stirn und betrachtete mich besorgt. »Ich habe noch niemals gehört, dass ein Elf krank wird. Soll ich dir Hilfe holen ...?«
»Ist nicht notwendig ...« Dann drehte sich die Welt um mich; haltlos stürzte ich zu Boden. Alle Kraft wich aus meinen Beinen. Der Aufprall hatte keine Bedeutung, der Schmerz hatte keine Bedeutung, auch die Dunkelheit, die immer näher rückte, hatte keine Bedeutung. Alles, alles, alles drehte sich um Julia. Estella. Estella. Julia ...
»Wir können dir nicht helfen«, sagte Barchoil, »weil du nicht bereit bist, dir helfen zu lassen.«
Ich nickte meinem Freund teilnahmslos zu. Was er redete, interessierte mich nicht. Ich starrte auf Marcus, der einen weiteren Eimer warmen Wassers in jenen Bottich leerte, in den man meine Füße gezwungen hatte. Mehrere Elfen umstanden mich und murmelten seltsame Beschwörungen, die mich aber nicht erreichten. Sie waren so weit weg, so sinnentleert ...
»Unweit von hier lebt ein
vulnerarius
, ein Wundarzt«, sagte Antonius. »Man sagt, dass er nicht nur den Körper, sondern auch den Geist zu heilen versteht.«
»Ein Menschenarzt?«, fragte Barchoil abschätzig. »Wie soll er Fiomha helfen können?«
Unter anderen Umständen hätte ich ihn für seine Worte gemaßregelt. Doch die Unterhaltung floss an mir vorbei; ich vermochte ihr kaum zu folgen.
»Bringt ... ihn«, flüsterte ich mit letzter Kraft. »Bringt den ... Menschenarzt.«
Die Krankheit, an der ich litt, würde kein Elf heilen können. Sie verstanden nicht einmal ansatzweise, was mir widerfahren war. Weil sie nicht verstanden, was ich in diesem einen Moment der Begegnung gefühlt hatte.
Ein nach Alkohol und fauligen Zähnen stinkender Alter wurde in mein Zelt gebracht. Er blickte sich mit vor Angst weit aufgerissenen Augen um, als suche er nach einem Fluchtweg. Das war der Arzt, der mich kurieren sollte?
Meine Leute drängten ihn vorwärts, auf mich zu, und irgendwann akzeptierte er, dass es für ihn kein Entkommen gab. Antonius, der Veliner, redete auf ihn ein und drückte ihm einen Humpen voll Wein in die Hand. Der Alte nahm ein paar kräftige Schlucke und fand endlich den Mut, sich mir zu stellen. Überraschenderweise sah ich Kraft und Weisheit in dem von vielen Falten geprägten Säufergesicht.
»Lasst uns ... allein!«, befahl ich. Antonius und Barchoil wollten widersprechen, doch ich tat ihre Einwände mit einer knappen und überaus anstrengenden Handbewegung ab. »Ich möchte mit ihm unter ... vier Augen reden.«
Beide gehorchten sie und verließen meine kleine Hütte. Sie würden sich nicht allzu weit entfernen; doch es sollte reichen, um dem Arzt die Angst zu nehmen.
»Ich bin ... gesund und dennoch ... krank«, flüsterte ich. »Sag mir, warum ...«
Neuerlich blickte sich der Römer nach allen Seiten um. Es
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