Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
Luft an und sorgten unter lebensgefährlichen Bedingungen dafür, dass das Holz an den vorbereiteten Stellen verankert wurde. Kräftige Männer standen an den Spitzen tollkühner Konstruktionen, die Turmgerüsten ähnelten, in unseren stabilsten Booten. Mit schmiedeeisernen Hämmern trieben sie die Stämme tiefer und tiefer in die Lehmschicht unter dem Wasser. Stundenlang war der Klang von Metall auf Holz über der Lagunenlandschaft zu hören. Zu guter Letzt umwickelten wir die riesigen Holzpflöcke mit breiten Lederbändern und drillten sie noch weiter in den Untergrund.
Als die Sonne blutrot im Meer unterging, blickte ich zufrieden auf mehr als fünfzig Stämme, die eng beieinanderstanden und ein unregelmäßig geformtes Fundament mit einer Fläche von vier mal vier Metern bildeten. Ich bestieg es. Aus einer Höhe von mehr als drei Metern blickte ich auf meine erschöpften Kameraden hinab. Elfen machten sich soeben daran, selten verwendete Naturzauber zu formulieren. Sie überzeugten die Stämme davon, eng aneinanderzukleben.
Es war ein überragendes, ein berauschendes Gefühl, das mich überkam. Dieser winzige Vorposten, von dem aus ich eine fantastische Aussicht in alle Richtungen genoss, war lediglich ein Vorgeschmack auf das, was möglich war, wenn wir all unsere Energie für diese tollkühne Vision einer Stadt im Wasser verwendeten. Fast hätte ich darüber meine Sehnsucht vergessen, mit der ich ein weiteres Zusammentreffen mit Julia herbeisehnte.
Fast.
»Du hast Besuch«, sagte Barchoil. »Eine der Römerinnen wartet am Steg auf dich.«
War
sie
gekommen? Hatte sie selbst den Weg hierher gesucht, von derselben Kraft wie ich getrieben?
Ich warf mir mein bestes Gewand über und lief hinab zur kleinen Anlegestelle von Tres Porti. Das Boot, schlank und für nicht mehr als sechs Personen gedacht, war im Bereich hinter den vier kräftig gebauten Ruderern von dünnen Leinentüchern überdacht. Die Beine einer Frau ragten hervor.
Ich schloss die Augen und zählte bis zehn, bevor ich das schwankende Schifflein betrat.
»Da ist ja unser tapferer Wächter der Lagune«, hörte ich eine tiefe Stimme.
»Sicilla?«, fragte ich, bitter enttäuscht.
»So ist es.« Die älteste Tochter des Gaius Albus schlug die Tücher beiseite, die ihren Oberkörper verbargen. »Enttäuscht?«
»N ... nein.«
»Wie man sieht.« Sie zeigte mir ein Raubtierlächeln. »Mein Vater bittet dich, ihm die Ehre zu einem gemeinsamen Bad zu geben. Er meinte, dass du nach einem Tag harter Arbeit ein wenig Luxus schätzen würdest.«
»Jetzt?«
»Jetzt. Du brauchst nichts mitzunehmen. Alles ist für dich bereitgelegt.«
Ich drehte mich um. Barchoil, mein mundfauler Kamerad, grinste mich an und drehte den Daumen in einer Geste der Menschen nach oben.
»Also gut.« Ich setzte mich Sicilla gegenüber ins Boot. »Ein Bad wäre nach dem heutigen Tag in der Tat ein ganz besonderer Luxus.«
»Man riecht es.« Sie lachte. »Sei mir nicht böse, Elf, aber du stinkst wie eine faulige Makrele, die in Salz gepökelt wurde.«
»So?« Zu meiner Erleichterung war es bereits dunkel geworden. Sicilla würde meine Gesichtsröte nicht erkennen können. »Dies ist das Parfum schwer arbeitender Wesen.«
»Ist schon gut.« Vertraulich legte sie mir eine Hand auf den Oberarm. »Lass dich von mir nicht ärgern, Fiomha. Du bist mir recht, so, wie du bist.«
Das Boot legte ab. Im Licht schwacher Fackeln strebten die stummen Ruderer dem gegenüberliegenden Ufer zu.
Wir schwiegen lange. Ich wusste nicht, was ich mit dieser Frau bereden sollte. Gut, sie war attraktiv und strahlte Laszivität aus. Sicilla hätte sicherlich einen prächtigen Partner abgegeben – doch mein Herz schlug für eine andere. Für Julia.
»Mein Vater wünscht, dass ich mich mit dir ... anfreunde«, sagte Sicilla.
»Das ... hm ... das kommt ein wenig plötzlich.«
Abermals lachte sie. »Was bist du bloß für ein schlechter Lügner, Fiomha! Alle konnten wir in der Villa sehen, dass dir fast die Augen aus den Höhlen gefallen sind, als du vor Julia standest. Selbst Vater, der nun wahrlich kein feinfühliger Mensch ist.«
Sie schlug ihre bleichen, kaum von Sonnenstrahlen berührten Beine in aufreizender Art übereinander, beugte sich weiter zu mir vor und flüsterte: »Julia empfindet ebenso für dich. Zwischen euch beiden bahnt sich etwas ganz Besonderes an. Und ich werde eurem Liebesglück nicht im Wege stehen. Zumal ich ein Auge auf deinen stummen Begleiter geworfen habe. Diesen
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