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Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele

Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele

Titel: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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Mönchskutte gegen den eines eleganten Edelmanns, der samt bewaffnetem Gefolge ins Morgenland reiste. Das gesamte Christentum blickte zu jener Zeit Richtung Jerusalem, doch seine Kreuzzüge hatten nichts Heiliges an sich. Religiöse Fanatiker maßten sich an, zu wissen, wer der einzige und wahre Gott war. Angeekelt blickte ich beiseite und mied die Horden christlicher Eiferer, wo ich nur konnte. Ich verfolgte stattdessen eine ganz andere, eine viel wichtigere Spur.
    Der »Geruch« von Julias Seele ging mir nicht mehr aus der Nase. Warum ich ausgerechnet jetzt ihre Gegenwart fühlen konnte, wusste ich nicht. Eine sonderbare Sehnsucht füllte mich aus, die mich in eine bestimmte Richtung lenkte. Rasendes Herzklopfen ließ mich nächtens kaum noch schlafen. Julia musste »erwacht« sein, musste sich meiner erinnert haben und über die Abgründe von Zeit und Raum nach mir greifen.
    Es trieb mich immer weiter östlich. Nach und nach verließen mich meine Begleiter. Sie fürchteten sich vor mir, vor meiner Getriebenheit und schlichen davon, während ich wie betäubt auf meinem Ross saß und mich Tagträumen hingab. Was scherte es mich, mit wem ich reiste? Meine Hoffnung auf Glück hatte neue Nahrung bekommen. Ich aß und ich trank kaum und verfolgte mit unglaublicher Verbissenheit diese eine Spur.
    Nur selten überfielen mich Zweifel. War ich denn noch bei Verstand, oder trieb mich mein Verlangen nach Julia in einen Abgrund des Wahnsinns? Ich verdrängte diese Gedanken, schob sie weit nach hinten und schloss sie in den hintersten Kämmerchen meines Geistes ein.
    Ich durchquerte das zerfallende Reich der Seldschuken. Der türkische Einfluss wurde durch Armeen der Kara Kitai, die aus dem fernen China stammten, herausgefordert. Das wilde Reitervolk der Mongolen machte sich überdies bereit, der Weltgeschichte seinen Stempel aufzudrücken und in entstehende Lücken zu drängen. Erobernd und plündernd fegte es über schwach befestigte Städte hinweg, ohne Verständnis für eine einmalige Kultur, die über einen Zeitraum von mehr als hundertfünfzig Jahren im vorderasiatischen Schmelztiegel entstanden war.
    Ich erreichte Samarkand, die Prächtige. Die Stadt an der Seidenstraße, in der Alexander der Große 1500 Jahre zuvor seine Spuren hinterlassen hatte. Noch waren die Spuren einstiger Größe zu sehen, doch sie verblassten bereits – oder waren längst in Schutt und Asche aufgegangen. Denn »der Schmied«, den spätere Generationen »Temüüdschin« oder »Dschingis Khan« nennen sollten, hatte seine erbarmungslosen Horden über Samarkand herfallen lassen.
    Ich durchwanderte brennende Ruinen, während das Sehnen in meinem Herzen schwach und schwächer wurde. Irgendetwas Schreckliches musste mit Julias Seele passiert sein! Ich schrie, ich weinte, und ich fügte mir selbst schreckliche Wunden zu, während ich suchte.
    Mongolische Marodeure, denen ich begegnete, achteten nicht auf mich – oder sie liefen vor mir davon. Ich erschien ihnen wie ein Wesen aus einer anderen Welt, wie ein Geist, und sie nannten mich »den Unantastbaren«. Tagelang irrte ich umher, von immer größerer Verzweiflung getragen – bis ich fand, was ich gesucht hatte.
    Es war die Leiche einer jungen Frau, kaum 20 Jahre alt. Sie lag am Fuß eines Schutthügels und blickte mit weit aufgerissenen Augen in die Ferne. In jene Richtung, aus der ich gekommen war. Halb verhungerte Wildhunde scharten sich um sie, doch sie kamen ihr nicht näher als bis auf ein paar Meter.
Etwas
umgab das Mädchen.
Etwas
, das ich fühlen konnte.
    Es war eine Art ... Restbewusstsein. Eine vage Hoffnung, die sich an den sterbenden Körper geklammert und meine Ankunft mit derselben Verve herbeigesehnt hatte, die mich zu ihr geführt hatte.
    Ich kniete mich neben sie, tastete nach der kalten Hand und weinte Elfentränen. Das Nass tropfte schwer wie Blei in den Sand. Wieder war ich zu spät gekommen und hatte meine Geliebte um wenige Stunden oder Tage verpasst. Nun zog sie weiter, getrennt vom Körper; von geheimnisvollen Kräften gelenkt, trieb sie ins Irgendwo.
    Wie ich diesen wiederholten Schmerz ertragen konnte? Ich weiß es nicht. Meine Empfindungen mussten stumpf geworden sein. Vielleicht war es auch ein Rest elfischen Bewusstseins, der sich wie eine Schutzhülle um mich legte und verhinderte, dass ich vollends dem Wahnsinn verfiel.
    Ich hob die Frau, die ich niemals zuvor gesehen hatte, hoch und trug sie an den Ruinen vorbei hinaus auf die freien, nunmehr unbestellten Felder.

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