Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
oder in Sphären, die mir als Elfen nicht zugänglich waren. Andere Schlachtfelder waren so weit weg, dass die Namen der Kämpfer vergessen waren, bevor die Nachricht über ihren Tod an das Ohr des einen oder des anderen Heerführers gelangte.
Ein Bravourstück gelang mir, als ich die Giftzwerginnen des Kenyon für Fanmór gewann. Diese kruden Geschöpfe unter der Führung Pirrbowers waren religiöse Eiferer ärgster Art, die mitunter die Kinder ihrer eigenen Brut auffraßen. Auch sie erlagen meinen Lockrufen. Sie stellten jenes gewaltige Kontingent an Kämpfern, das Gwynbaen in der Schlacht um
Maidhe
entscheidend schwächte. Manche Geschichtenerzähler meinen, dass der Ausgang dieses Gefechts im Großen Krieg vorentscheidend war, aber ich maße mir nicht an, dies zu beurteilen. Ich tat nur meine Arbeit, reiste von einer Ecke der Anderswelt zur nächsten und bemühte mich, mein Versprechen dem Riesen gegenüber so gut wie möglich zu erfüllen.
Skrupel kannte ich nicht mehr. Ich hatte mein Herz zum Schweigen gebracht. Keine Gedanken an Moral und Amoral behinderten mich noch. Alles, was zählte, war mein Ziel: einen Platz in der Anderswelt für Julia zu erobern.
Zeit verging. Selbst als die letzten Schlachten tobten, war ich noch unterwegs. Um erschöpfte Kämpfer anzuspornen, um den Siegeswillen unserer Gegner durch falsche Gerüchte, die ich gezielt streute, zu schwächen; um Gwynbaens Truppen in die Irre zu locken.
Irgendwann endete es. Abrupt, einfach so. Ein Bote brachte mir die Nachricht, dass es geschafft war, dass Fanmór die letzte Hochburg seiner Gegnerin erstürmt und Gwynbean festgesetzt hatte.
Ich hielt inne und sah mich um. Das erste Mal seit langer Zeit nahm ich meine Umgebung bewusst wahr. Was ich sah, waren Zerstörung, Not und Elend. Leichen lagen aufgebahrt auf Stelzengräbern, der Himmel war blutrot, und die Vegetation wirkte leblos. Ich hörte kein Vogelzwitschern und kein Brunftklagen des Hähers. Nur Aastiere mit dicken Bäuchen taten sich an ihrer Beute gütlich.
Wie lange war ich umhergeirrt? Zwanzig Jahre? Fünfzig? Einhundert? – Ich wusste es nicht. In dieser Welt, die sich der Zeitlosigkeit verschrieben hatte, spielten Zahlen keine Rolle.
Ich war dabei, als Gwynbaen und ihre Getreuen ins Schattenreich verbannt wurden. Bereits damals ahnte ich, dass wir die Dunkle Königin irgendwann wiedersehen würden. Doch ich verdrängte dieses Gefühl, und ich erlaubte mir den Luxus, die Triumphgefühle eines großartigen Sieges nach Elfenart auszukosten.
Reminiszenzen an meine Jugend kamen hoch. Gefühle der Unbeschwertheit, wie ein Hauch aus längst vergangener Zeit, die ich nun empfand und allmählich wiedergewann. Ein Heerzug, der zig Kilometer maß, durchwanderte die Kernländer von Fanmórs Reich. Überall machten wir unsere Aufwartung, leerten die Speisekammern der herrschaftlichen Schlösser, ließen uns hochleben und genossen die Zuwendung jener, die wir vom Joch der Dunklen Königin befreit hatten.
Doch mit jedem Morgen kam die Ernüchterung. Wenn alles schlief, trunken von Alkohol und genossener Liebe, durchwanderte ich einsam die Gänge und Hallen. Mir fehlte etwas, und es würde sich durch nichts in der Elfenwelt ersetzen lassen.
Es dauerte geraume Zeit, bis ich die Gelegenheit zu einer weiteren Audienz in Fanmórs Baumschloss erhielt. Die Blüten knospten wie verrückt, und Bienen summten honigtrunken umher, als ich seinen Hof betrat.
Der Riese hatte mich nach dem Ende der Kämpfe gemieden, wo er nur konnte. Ich hatte eine nicht zu unterschätzende Rolle in seiner Strategie gespielt. Er war – und ist – ein großer Anführer, doch das Wort »Danke« kam in seinem Wortschatz kaum vor.
»Was willst du, Fiomha?«, fragte er mich ungnädig. »Fühlst du dich schlecht behandelt? Würdigt man deine Verdienste nicht so, wie du es dir wünschst?«
»Das ist es nicht, Hoher Herr«, antwortete ich und verbeugte mich ehrerbietig. »Jedermann ist freundlich und zuvorkommend.«
»Warum belästigst du mich dann? Meine Zeit ist wertvoll. Das Reich liegt in Trümmern, und ich muss mich um den Wiederaufbau kümmern.«
»Ich weiß, Herr. Aber ich möchte Euch an ein Versprechen erinnern ...«
»Versprechen?« Er runzelte die Stirn, sodass sich die breiten Augenbrauenwülste oberhalb der Nasenwurzel vereinten.
»Julia«, sagte ich geduldig. »Ihr habt versprochen, der Menschenfrau Asyl zu gewähren, sobald der Krieg zu Ende ist.«
»Die Menschenfrau«, sinnierte Fanmór. »Die
Weitere Kostenlose Bücher