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Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele

Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele

Titel: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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Giftattentat zum Opfer. Vorerst wollte ich mich in der Lagunenstadt nur umsehen und neu orientieren.
    Mit einer Zechine musste ich mir den Transport in einem schäbigen Boot hinüber zu einer der Hauptinseln kaufen. Antonius hatte ihr einstmals die Bezeichnung
rivo alto
gegeben; spätere Generationen hatten auf
Rialto
verkürzt. Ich verließ das Schiff und fand mich inmitten bunten Handelstreibens wieder. Fischweiber priesen lautstark ihre Waren an, und alte Hutzelmännchen gestikulierten wie wild, um auf gebrochene Salzblöcke und gepökeltes Fleisch hinzuweisen. Stoffhändler ließen junge Mädchen in ihren Kleidern umhertanzen, um die Aufmerksamkeit gut betuchter Kunden zu erregen.
    Reisendes Volk verstärkte den Trubel; ich sah einen Seiltänzer, einen Geschichtenerzähler, mehrere Bodenakrobaten. Zwischen den Zusehern wieselten klein gewachsene Burschen umher; mit bewundernswerter Geschicklichkeit schnitten sie die Geldkatzen unvorsichtiger Venezianer von deren Gürteln.
    Ich ahnte die Berührung mehr, als dass ich sie fühlte, doch meine Reflexe hatten im Laufe der Jahre niemals nachgelassen. Geschickt zog ich den Kurzdolch und hielt ihn einem Jungen mit vorstehenden Zähnen an den Hals, bevor er meinen Geldbeutel in seinem Hemd verschwinden lassen konnte.
    »Tu dir selbst einen Gefallen und gib das Gold zurück«, sagte ich ruhig zu ihm. »Sobald du auch nur mit den Wimpern zuckst, bist du um einen Hals kürzer.«
    »Ist schon gut,
signore
«, krächzte der Junge verdrießlich und setzte gleich darauf ein schiefes Grinsen auf. »Man wird’s wohl versuchen dürfen. Ich habe drei Schwestern und ebenso viele Brüder zu ernähren. Alle hungern und müssen sich wie streunende Katzen hinter Verschlägen verbergen ...«
    »Ich erkenne eine Lüge, sobald ich sie höre«, unterbrach ich ihn. »Sei also vorsichtig mit dem, was du behauptest.«
    »Eine Drohung ersetzt die nächste?« Das Grinsen des Burschen wurde breiter. »Willst du mir etwa zweimal die Kehle durchschneiden? Nein, Signore, ich sehe viel zu viel Gutmütigkeit in deinen Augen. Du würdest einem armen, kleinen Burschen niemals etwas antun. Du nicht.«
    Vorsichtig reichte er mir meine Geldkatze zurück. Sobald der Beutel in meine Hand fiel, lief er davon, Haken schlagend wie ein Hase.
    »Wenn du ehrliches Geld verdienen willst«, rief ich ihm über die Menschenmassen hinweg nach, »komm heute Abend zur Ca’d’Oreso!«
    Ich erhielt keine Antwort und hatte auch keine erwartet. Doch wenn ich das Bürschlein richtig einschätzte, würde es sich bei Sonnenuntergang vor der Pforte meiner Behausung einstellen.
    Nun stellte sich nur noch die Frage, wo sich die Ca’d’Oreso eigentlich befand und in welchem Zustand sie war.
    Ich hatte vor mehr als zweihundert Jahren einen Verwalter eingesetzt, den ich niemals zu Gesicht bekommen hatte. Dank des bargeldlosen Geschäftsgebarens der reichen italienischen Städte waren Briefe ausreichend gewesen, um meine Angelegenheiten aus der Ferne zu steuern. Generationen von Notaren und Geldfüchsen hatten sich seitdem um meine Anliegen gekümmert und meinen Reichtum verwaltet.
    Irgendwann war ich dem Vorschlag nachgekommen, ein repräsentatives Haus in Venedig zu errichten. Das Ca’d’Oreso war entstanden; ein Gebäude, das einen Namen trug, der der menschlichen Erwartungshaltung mehr entsprach als mein Geburtsname Fiomha. Der Name Oreso war weithin bekannt. Ich hatte mich mit barer Münze in das weitverbreitet siedelnde Geschlecht eingekauft. In der Familie galt ich als verschrobener Wandervogel, dem kaum jemand begegnet war.
    Wie ich feststellen musste, waren nicht alle Wünsche zu meiner Zufriedenheit erledigt worden. Die Casa am Rio di San Zuane befand sich in einem erbärmlichen Zustand, und das Personal war soeben im Begriff, eine kleine Vergnügungsorgie zu beginnen, als ich die hölzerne Schwelle überschritt.
    »Was wünscht Ihr?«, fragte mich ein finster dreinblickender Mann, dessen unwirscher Charakter sich in sein Gesicht gebrannt hatte. »Wenn Ihr den Herrn sprechen wollt – er ist nicht da. Er ist niemals da. Also verschwindet oder hinterlasst von mir aus eine Nachricht, wenn Euch danach ist.« Er biss herzhaft in eine Hühnerbrust. Sein verschmutztes Hemd stand weit offen, und eine füllige Brustbehaarung, in der sich die Läuse tummelten, drang daraus hervor. Die zweite Hand ruhte auf dem Po einer drallen Schwarzhaarigen, die sich angewidert von ihm abwandte.
    »Was machst
du
in meinem Haus?«, stellte ich

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