Elfenzeit 8: Insel von Feuer und Nebel - Schartz, S: Elfenzeit 8: Insel von Feuer und Nebel
nicht wahr?«
»Nein, was denn?«
»Seine Fähigkeiten … waren nicht natürlichen Ursprungs, wie etwa bei dir oder deinem Freund Robert.«
Nadja blinzelte. »Wie meinst du das?«
»Damals, als das mit seinen Eltern geschah …«, fing Letitia an. »Hat er dir das überhaupt genau erzählt?«
»Ich glaube, die Mafia brachte sie um.«
»Ja. Und ihn auch, wenn man’s genau nimmt.«
Nadja blieb der Mund offen stehen.
Letitia fuhr fort: »Ein Querschläger traf den Jungen in den Kopf. Sie haben ihn acht Stunden lang operiert, dann war das Ding draußen. Aber damit war es nicht vorbei – leider. Max war geistig und körperlich gesund, so schien es. Doch eines Tages, als er anfing, seltsame Dinge zu sehen, brachte ich ihn zur Untersuchung, und die Ärzte stellten fest, dass ein Tumor an der Stelle wuchs, wo die Kugel gesteckt hatte. Von da an war jeder Tag für Max ein Geschenk des Lebens.«
»Dann … konnten sie ihn nicht noch einmal operieren?«
»Nein, das hätte er nicht überlebt. Auch medikamentös war nicht viel zu machen. Der Tumor war wie eine Zeitbombe in ihm. Niemand konnte wissen, wann er plötzlich zu wachsen beginnen und ihn umbringen würde. So veränderte sich sein ganzes Leben, nicht nur in der Hinsicht, dass er zum Grenzgänger wurde.«
Nadja drehte sich um und starrte auf den Friedhof. »Er hat den Zeitpunkt gewählt …«
»Es ist möglich, dass er es herausforderte«, stimmte Letitia zu. »Falls er Schmerzen oder Ahnungen hatte, hat er es niemandem gesagt. Ich habe es jetzt auch nicht untersuchen lassen. Was hätte uns eine Obduktion seines Kopfes gebracht? Es ist besser, wir lassen es im Ungewissen. Aber eines ist sicher, Tochter.« Sie legte den Arm um Nadja. »Er hat genau gewusst, worauf er sich einließ. Es war seine freie und eigene Entscheidung, und er war sich auch über die möglichen Konsequenzen im Klaren. Möglicherweise hätte er noch ein paar Jahre vor sich gehabt, vielleicht aber auch nicht. Tröstet dich das?«
Nadja nickte. »Und es versöhnt mich ein bisschen mit der Gegenwart. Wahrscheinlich hast du recht, und es ist besser, nicht zu viel darüber nachzudenken. Das bringt uns Max nicht zurück. Aber er hat den Getreuen zum Bluten gebracht, und das ist etwas, das wir niemals vergessen werden. Ich werde es ihn wissen lassen, wenn ich ihm wieder einmal begegne!«
An diesem Tag gab es noch ein stilles Gedenken an Max in vertrauter Runde, dann kümmerten sich alle um sich selbst. Sie hatten es nötig.
Für Letitia und Fabio kehrte Normalität ein. Regelmäßig flogen zwischen ihnen die Fetzen, aber voneinander lassen konnten sie auch nicht. Sie sahen übrigens keinen Grund, ihr Temperament zu zügeln, schließlich seien »ja keine Kinder im Haus«. Die anderen nahmen es hin, mal schmunzelnd, mal genervt.
Ablenkung gab es auch anderweitig genug. Die Elfen brachten wie gewohnt viel Leben und Chaos in den Alltag der Menschen, und Sesta war stets so fröhlich und lebhaft, als wäre sie wieder ein Welpe. Am meisten genoss Nadja es, ungestört viel Zeit mit ihrer Mutter verbringen zu können. Ausnahmsweise hielt Letitia sich ohne Überstunden an ihren Dienstplan im Waisenhaus, hatte sich eine Vertretung besorgt und war so viel wie möglich im Haus Oreso.
Alle wussten, dass diese friedliche Zeit nicht mehr lange dauern würde, und wollten jede Sekunde ausnützen. Vor allem Mutter und Tochter brauchten die Stunden für sich, und sie kamen sich dabei sehr nahe. Die vergangenen Jahre der Einsamkeit und Trennung waren nahezu ausgelöscht.
Rian war fast jeden Abend auswärts, mit immer neuen Verehrern. Auf einem Spaziergang zu zweit gestand sie Nadja, dass sich an ihrer Jungfernschaft nichts geändert hatte. »Egal, was ich anstelle, Nadja«, beschwerte sich die junge Elfenprinzessin, »es kommt nie zum Äußersten. Allmählich glaube ich, dass mein Vater einen Bann über mich gelegt hat.«
»Diese Vermutung liegt nahe und würde mich nicht im Geringsten wundern«, sagte Nadja, die sich gut an Fanmórs Temperament erinnerte. »Was er David zugesteht, will er bei dir nicht. Du sollst die edle Prinzessin im Elfenbeinturm bleiben, angebetet, aber unerreichbar.«
»Darüber werde ich mich mit ihm noch unterhalten, das kannst du mir glauben! Derweil aber genieße ich, was ich trotz Bann bekomme.« Rian grinste, und sie gingen untergehakt weiter.
So zog schließlich der Mai ins Land. Eine Dürre setzte ein, das Getreide stand hoch und würde bald geerntet werden. Goldfarbenes Land
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