Elfenzeit 8: Insel von Feuer und Nebel - Schartz, S: Elfenzeit 8: Insel von Feuer und Nebel
aufgewachsen, liebe Nonna, und hast dir mit dem Kinderkriegen Zeit gelassen.«
»Ach, das ist eine andere Welt, ich war damals jung und töricht. Aber hier bei uns lernt eine Frau, bodenständig zu sein, und was ist gegen einen Sizilianer einzuwenden?«
»Gar nichts, aber ich bin trotzdem schon vergeben.«
Plötzlich drehte sich Natalia zur Seite und legte Nadja eine Hand auf die Wange. »Wird er auch ein guter Vater für dein Kind sein?«
Nadja war nicht schockiert. »Meine Sommersprossen, stimmt’s? Die haben mich verraten. Aber die könnten doch von Natur aus dort sein!«
»Nicht solche.« Die alte Frau schmunzelte. »Antonio ist sehr erzürnt, weil du es uns noch nicht gesagt hast. Er möchte der ganzen Welt sagen, dass er Urgroßvater wird. Jahrelang waren wir drei allein, und auf einmal werden wir eine Großfamilie …«
Nadja schmiegte ihre Wange in die Hand der Großmutter. »Ich finde das auch wunderbar. Aber ich muss euch bitten, meine Schwangerschaft für euch zu behalten.«
Natalia runzelte die Stirn. »Was stimmt denn nicht mit dem Vater? Sitzt er im Knast?«
»Nein, nein, es ist alles ganz anders. Er … ist nicht wie wir. Es könnte große Schwierigkeiten geben. Bitte, versprich mir, dass ihr schweigen werdet. Wie ihr all die Jahre wegen Mama geschwiegen habt. Es ist wirklich wichtig.«
Nonna seufzte. »Noch ein Geheimnis. Also gut, darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Und die Leute haben schon genug zu verarbeiten.« Sie griff nach dem Tablett. »Hilf mir tragen. Diese Meute ist unersättlich, und wir müssen bald das Stroh vom Dach essen.«
Aber ganz so schlimm war es nicht; die meisten Leute brachten Essen und Trinken mit, um die Großeltern Oreso nicht arm zu machen.
Es wurden drei fröhliche, anstrengende Tage, in denen Nadja fast den eigentlichen Grund ihrer Reise vergaß. Nach all dem Schrecken und den Anstrengungen der vergangenen Wochen nutzte sie die Gelegenheit, um sich zu entspannen und einfach nur Nadja zu sein, Letitias wiedergefundene Tochter – jung, heiter und ohne Verpflichtungen. Sie brauchte es und Fabio nicht minder.
Jedes Mal, wenn Letitia kam, verwandelte er sich in einen anderen Mann, hatte nur noch Augen für seine Frau und wich ihr nicht von der Seite. Manchmal gingen sie über die Hügel auf den Ziegenpfaden spazieren und versuchten, sich einander vorsichtig zu nähern. Sie stritten so gut wie gar nicht mehr und waren trotzdem unzertrennlich, so bemüht waren sie, wieder zusammen-zukommen.
Nadja war ihrem Vater nicht böse, dass er so viel Zeit mit Letitia verbrachte. Im Gegenteil: Es machte sie glücklich, die beiden so verliebt zu sehen, und Letitia nahm sich durchaus Zeit für die Tochter. Behutsam lernten sie sich jeden Tag genauer kennen. Sie kam immer erst am Nachmittag, weil sie die Arbeit im Waisenhaus nicht ruhen lassen wollte. Die meisten der Tratschtanten und -onkel aus dem Dorf hielten das zwar für befremdlich, hätten aber nie gewagt, Letitia dies ins Gesicht zu sagen.
Max hingegen kam so oft vorbei, wie es nur ging. Er bezeichnete Nadja allen anderen gegenüber als »Schwester«, verhielt sich wie ein älterer Bruder und wurde nicht müde, jedem von ihr zu erzählen. Er nahm Nadja in seinem klapprigen Transporter mit und zeigte ihr die Gegend, erzählte viele interessante Geschichten dazu und wies immer wieder auf den Ätna.
»Er ist der größte aktive Vulkan in Europa. Für uns Sizilianer gehört er fast schon zur Religion, aber auch zum Aberglauben, welcher noch aus der Antike stammt. Denn seine Lavaströme sind schon bis fast an die Küste geflossen, und doch verschont er manchmal Häuser. Es gibt ein paar Stellen, an denen sich die herabwälzenden Glutmassen plötzlich vor einem Haus teilten, um es her-umflossen und sich danach wiedervereinigten – einfach so. Manchmal hielt auch eine Hauswand einen Strom auf, der dann zum Versiegen kam, während sich ringsum Tod und Vernichtung weiterwälzten. Viele Hänge des Ätna bieten heute noch kaum Leben, nur für zähe Bergkiefern und so, und der im Lauf der Zeit entstandene Tuff reicht bis ins siebzehnte Jahrhundert zurück. Der letzte dramatische Ausbruch dauerte von Oktober 2002 bis Februar 2003. Bis zu fünf Kilometer hoch stieg die Aschewolke und wehte bis in die arabischen Emirate. Allein die Lavasäulen stiegen neunhundert Meter hoch. Bei Nacht war es eine verzauberte Welt, die nichts mehr mit unserer gemein zu haben schien. Ein unbeschreibliches Naturschauspiel, Nadja, eine
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