Elfenzorn
Überraschung sagen.
»Ja, eigentlich sollte ich das«, antwortete José. Toni sah plötzlich sehr aufmerksam aus, und sie konnte fühlen, wie Max sich hinter ihr anspannte. Sie hätte erwartet, dass dasselbe mit ihr geschehen würde, aber das genaue Gegenteil war der Fall: Siespürte plötzlich, wie eine große Gelassenheit von ihr Besitz ergriff; das vollkommene und absolute Wissen, dass keiner dieser drei Männer ihr wirklich gefährlich werden konnte.
Peralta betrachtete nachdenklich den diamantenen Dolch. »Andererseits«, sagte er versonnen, »sieht das hier sehr interessant aus. Es wäre dumm, eine vorschnelle Entscheidung zu treffen, nicht wahr? Und ich glaube dir, dass du das, was du getan hast, ehrlich bedauerst. Warum sollte ich dir also nicht die Gelegenheit geben, deinen Fehler wiedergutzumachen?«
»Glauben Sie mir, das würde ich tun, wenn ich es könnte«, sagte Pia nervös, »aber ...«
»Und außerdem«, fuhr José mit seiner Marlon-Brando-Fistelstimme fort, »soll mir niemand nachsagen, ich wäre ein ungerechter Mann. Auch das ist eine der Stützen, auf denen meine Macht ruht, weißt du? Jedermann weiß, dass ich hart bin, aber gerecht. Und ein wenig Großzügigkeit kann sich ein Mann in meiner Position schon leisten.« Er seufzte tief. »Tatsächlich sollte er es sogar, weißt du? Im Grunde sind wir hier alle wie eine große Familie.«
Für deren Vater er sich anscheinend hielt, dachte Pia. Schade, dass sie nicht dabei sein würde, wenn ihm eines Tages eines seiner Kinder zeigte, was es wirklich von ihm hielt. Sie sah ihn nur weiter mit wachsender Nervosität an, deren wahrer Grund aber nicht in seinen Worten zu suchen war, sondern unsichtbar und flackernd an seinem Hals emporkroch und sein aufgedunsenes Gesicht in Schatten zu hüllen begann, die nur für sie sichtbar, aber nichtsdestotrotz real waren.
»Und genau wie in einer großen Familie, mein Kind«, fuhr José fort, der offensichtlich Gefallen an seinem eigenen Gedankengang zu finden begann, »brauchen sie natürlich eine starke Hand. Das ist nötig, so hart es mir auch manchmal selbst vorkommt. Aber ohne sie würde alles auseinanderfallen.«
Er selbst sah auch ein bisschen so aus, als stünde ihm dasselbe Schicksal unmittelbar bevor. Sein Gesicht war fett und aufgedunsen wie immer, aber die Schatten verwandelten es zugleich indas Antlitz eines hohlwangigen Gespensts, und in seinen Augen … begann etwas zu erwachen, das düster und uralt war und nie gelebt hatte. Es fiel Pia immer schwerer, sich auf seine Worte zu konzentrieren.
»Und das heißt, dass Sie … ein Exempel an mir statuieren wollen?«, vermutete sie stockend.
Josés Überraschung war beinahe perfekt gespielt. »Aber wo denkst du hin, mein Kind?«, sagte er verblüfft. Seine Finger spielten weiter mit dem Ring. »Hast du mir denn gar nicht zugehört? Das alles ist … sehr verwirrend, finde ich. Und auch ein bisschen geheimnisvoll. Aber ich finde schon heraus, was das alles wirklich zu bedeuten hat, keine Sorge. Meine Männer sind bereits auf der Suche nach Hernandez, und sobald sie ihn gefunden haben, wird sich alles aufklären, da bin ich ganz sicher.« Zu Pias unendlicher Erleichterung ließ er den Ring sinken und begann stattdessen mit den Fingerspitzen auf die beiden Fotos zu trommeln. Der Schatten blieb auf seinem Gesicht, wurde aber wenigstens nicht noch dunkler. »Vielleicht finden wir sogar etwas über dich heraus. Über deine Mutter, wer du wirklich bist, und wo du herkommst. Das interessiert dich doch bestimmt.«
»Natürlich«, sagte Pia rasch.
»Ja, das dachte ich mir.« José seufzte noch einmal und noch tiefer. »Aber du hast sicher auch Verständnis dafür, dass ich dich nicht einfach gehen lassen kann, selbst wenn ich es wollte. Du wirst wohl bleiben müssen, fürchte ich. Wenigstens so lange, bis ich mit deinem Freund Hernandez gesprochen und ein paar Antworten von ihm bekommen habe. Das kannst du doch verstehen, oder?«
»Sicher«, antwortete Pia mit gespielter Niedergeschlagenheit. Ihre Gedanken kreisten immer schneller. Die kranken Schatten auf seinen Wangen waren ein wenig heller geworden, und das Kratzen in ihrer Seele schien jetzt ein ganz klein bisschen enttäuscht zu klingen. Aber es war nicht fort. Was immer er um ein Haar entfesselt hätte, war noch hier. »Ich … ich weiß, dass esvielleicht ein bisschen unverschämt klingt, und ich möchte Ihre Großzügigkeit auch wirklich nicht ausnutzen, Senhor Peralta, aber …« Sie fuhr sich
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