Elfenzorn
Stunden schnell wie ein Pfeil nach Norden, und die größte menschliche Ansiedlung, die sie in dieser Zeit gesehen hatte, war eine Ansammlung ärmlicher Hütten gewesen, die kaum die Bezeichnung Dorf verdiente, von dem Wort Stadt gar nicht zu reden. Zwischen der Furt und Chichen Itza lag nichts, was auch nur der Mühe wert gewesen wäre, den Fluss zu überqueren.
Oder vielleicht doch. Als wäre dieser Gedanke ein Stichwort gewesen, meinte sie weit vor sich eine Trübung der Luft zu erkennen; vielleicht Rauch, vielleicht auch die Staubwolke, die den Weg eines wirklich großen Heeres markierte, wie Schwert Torman es anführte. Pia erschrak ein bisschen. Nach allem, was Eirann und Alica ihr gesagt hatten, hätte sie frühestens in einer Stunde damit gerechnet auf das Heer der Schattenelben zu stoßen. Aber es war auch schwer, hier oben das genaue Verstreichen der Zeit zu schätzen. Ein paarmal hatte sie versucht, zur Sonne hinaufzublinzeln und die Tageszeit an ihrem Stand zu erraten, aber sie war noch nie gut in so etwas gewesen. Ihre Chancen aufeine Ehrenmitgliedschaft bei den Pfadfindern waren noch niemals besonders hoch gewesen.
Dennoch: Es war zu früh. Waren die Truppen aus Elfenborg schon so nahe?
Sie erteilte Flammenhuf einen nur gedachten Befehl und wunderte sich nicht einmal darüber, dass er ihn befolgte und gehorsam an Höhe zu verlieren begann. Aus dem Flimmern und dem Eindruck reiner Bewegung irgendwo vor ihnen wurde grauer Rauch, der sich über eine Ansammlung derselben eckigen Gebäude erhob, aus denen auch Chichen Itza zum allergrößten Teil bestand. Auf dem ersten Stück – sicherlich fünfhundert Meter, wenn nicht mehr – stieg er vollkommen gerade in die Höhe, bevor er von einer stärker bewegten Luftschicht erfasst und auseinandergetrieben wurde; derselben unsichtbaren Grenze eisiger Kälte, durch die sie seit Stunden flogen. Pia ließ den Pegasus tiefer sinken, und die vage Hoffnung, die sie kaum in Gedanken klar zu formulieren gewagt hatte, schon aus der absurden Angst heraus, das Schicksal damit zu provozieren, erfüllte sich. Es wurde wärmer. Sie verlor die Stadt und den dahinterliegenden Fluss auf diese Weise zum Großteil aus den Augen, hatte aber wenigstens nicht mehr das Gefühl, bei lebendigem Leibe tiefgekühlt zu werden, was diesen kleinen Nachteil leicht wieder wettmachte.
Auch Flammenhuf genoss die viel zu lange vermisste Wärme sichtlich. Es vergingen nur wenige Augenblicke, bis sie regelrecht spüren konnte, wie seine Bewegungen geschmeidiger wurden und sein Flügelschlag kraftvoller. Die Stadt wurde jetzt rasch größer, sodass sie bald einzelne Gebäude und große Plätze ausmachen konnte, zwischen denen sich die so charakteristischen schnurgeraden und säuberlich gepflasterten Straßen dahinzogen. Genau wie Chichen Itza wirkte auch diese Ansiedlung im gleichen Maße auf fast unheimliche Weise vertraut und auch so fremd, wie es nur ging. Vertraut, weil sie Gebäude wie diese (wenn auch zumeist nur als Ruinen) unzählige Male auf Fotografien und ein- oder zweimal auch in der Realität gesehenhatte, und zugleich vollkommen falsch, denn diese Häuser hier waren in schreiend bunten Farben bemalt und schmückten sich mit Wimpeln und Fahnen und großen, mit fröhlichen Mustern verzierten Stoffbahnen, die ihre Bewohner aus keinem anderen Grund angebracht hatten, als sich an ihnen zu erfreuen.
Was sie nicht sah, waren Menschen.
Es verging noch ein Moment, bis es ihr wirklich auffiel, dann aber traf sie die Erkenntnis mit umso größerer Wucht. Nirgends rührte sich etwas. Die breiten Straßen waren leer. Kein einziger Mensch, kein Tier, nichts Lebendiges war zu sehen, weder aus der Entfernung noch als sie näher kamen und Flammenhuf allmählich weiter an Höhe und auch Geschwindigkeit verlor; diesmal, ohne dass sie ihm einen entsprechenden Befehl auch nur in Gedanken hätte erteilen müssen.
Dafür sah sie jetzt, woher der Rauch kam. Es waren keine Feuer, die die Bewohner dieser Stadt angezündet hatten, um ihr Essen zuzubereiten, Metall zu schmieden oder Wäsche zu waschen. Es war die Stadt, die brannte. Etliche Dächer, die sie aus der Höhe sehen konnte, waren eingestürzt, aus vielen Fenster- und Türöffnungen quoll fettiger, schwarzer Rauch, und schon das erste Gebäude, das sich hinter der (eher symbolischen, denn sie war nicht einmal einen Meter hoch) Stadtmauer erhob, war zur Hälfte eingestürzt und bestand nur mehr aus zwei Wänden und einer gewaltigen Menge Schutt, in
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