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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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anlegte) war sie vermutlich in Sicherheit.
    Sie mied dennoch die Nähe spiegelnder Flächen, soweit sie es konnte, und wo es ihr nicht gelang, vermied sie es zumindest, hineinzusehen. Eine Zeit lang ließ sie sich einfach mit dem Strom der Passanten treiben und erlaubte es ihren Gedanken, dasselbe zu tun und auf diese Weise vielleicht Wege einzuschlagen, die sie ihnen bewusst nie hätte weisen können.
    Sie musste zurück nach WeißWald, nicht nur, um Alica zu finden, und weil sie mit dem einen oder anderen seiner Bewohner noch ein Hühnchen zu rupfen hatte, sondern auch (und vor allem), weil sie einfach wusste, dass sie dorthin gehörte und dort eine Aufgabe auf sie wartete, die vielleicht größer und ganz bestimmt wichtiger als ihr eigenes Leben war. Und natürlich, um Jesus zu helfen. Aber das bedeutete nicht nur, dass sie ihn mitnehmen musste. Sie musste vor allem erst einmal einen Weg finden, um überhaupt in die Welt des immerwährenden Winters zurückzukehren, und damit war sie wieder ganz am Anfang ihres Problems angekommen.
    Sie hatte ein Dutzend Mal oder mehr versucht, den Wechsel zwischen den Welten (wenn auch in umgekehrter Richtung) mit purer Willenskraft zu vollziehen, ohne dass es ihr gelungen wäre, aber dafür war sie zweimal ganz ohne ihr Zutun zwischen den Welten gewechselt, und sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie.
    Während sie weiter gemächlich über eine Straße schlenderte, die ganz allmählich ihren Charakter änderte und mehr und mehr zu einer Flaniermeile mit kleinen Straßencafés und luxuriösen Geschäften und Ladenlokalen wurde, versuchte sie das Problem rein logisch anzugehen; auch wenn sie es zeit ihres Lebens mit Logik nie so sehr gehabt hatte. Aber so schwer konnte die Lösung nicht sein. Sie hatte es zweimal getan, und das bedeutete, dass es auch noch ein drittes Mal möglich sein musste. Der Wechsel hatte jedes Mal unter äußerst dramatischen Umständenstattgefunden, das erste Mal, als sie glaubte, zu Tode zu stürzen, und das zweite Mal, als Schwert Torman sich plötzlich entschlossen hatte, die Seiten zu wechseln und sie einen Kopf kürzer zu machen. Vielleicht war es tatsächlich so einfach und es bedurfte der reinen Todesangst, um die Barriere zwischen den Welten zu durchbrechen.
    Unglücklicherweise nutzte ihr diese Erkenntnis nicht viel. Sie hatte keine Möglichkeit, ihre Theorie zu überprüfen. Sie konnte sich schlecht vor einen Wagen werfen und hoffen, dass es klappte. Sie würde keine zweite Chance bekommen, wenn nicht.
    Jemand rempelte sie an, murmelte eine Entschuldigung – vielleicht auch das Gegenteil, so genau konnte sie das nicht entscheiden – und eilte weiter. Pia sah der Gestalt misstrauisch hinterher, bis sie in der Menschenmenge verschwunden war, und begriff erst dann, dass der kleine Zusammenstoß wohl eher ihre Schuld gewesen war. Sie war stehen geblieben, ohne es selbst zu merken; nicht vor einem der zahllosen kleinen Geschäfte und Restaurants, die das Straßenbild hier bestimmten, sondern einem größeren, dreigeschossigen Bau mit zahlreichen hell erleuchteten Schaufenstern; ein komplettes Einkaufscenter, das die Gringos Mall nannten, und von denen in den letzten Jahren überall in der Stadt eine ganze Menge aus dem Boden gestampft worden waren. Pia hatte diese seelenlosen Verkaufsmaschinen nie gemocht, aber sie glaubte auch nicht, dass sie völlig grundlos ausgerechnet hier stehen geblieben war.
    Ihr Blick tastete einen Moment lang über das hell erleuchtete Schaufenster, ohne die sorgsam arrangierten Auslagen auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Sie betrachtete aufmerksam ihr eigenes Spiegelbild und die verschwommenen Schemen der Passanten, die hinter und neben ihr vorbeigingen. Manche von ihnen sahen tatsächlich aus wie bleiche Gespenster, die kurz Gestalt annahmen und dann wieder vergingen, aber das war nur ein Trugbild; ein perfektes Zusammenspiel von schlechtem Licht und ihren noch schlechteren Nerven.
    Das Gespenst war nicht da. Vielleicht stimmte ihre Vermutung, und sie war vor ihrem unheimlichen Verfolger in Sicherheit, solange der Ring nicht in ihrer Nähe war.
    Trotzdem schloss sie die Augen und lauschte ein paar Sekunden lang konzentriert in sich hinein. Da war nichts. Kein Schaben an ihrer Seele. Kein Kratzen von Spinnenbeinen und keine Kälte, die sie von innen heraus zu Eis erstarren ließ.
    Sie sollte beruhigt sein, aber sie war es nicht, sondern fühlte sich nur noch verwirrter; und von einer Hilflosigkeit erfüllt, die sie

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