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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wahrscheinlich wusste es niemand genau. Dies war wohl eine jener Situationen, die sehr schnell eine Eigendynamik entwickelten und am Schluss alle Beteiligten einfach überrollten, ohne dass irgendjemand oder -etwas sie noch aufzuhalten vermochte. Der Stoff, aus dem Katastrophen gemacht wurden.
    »Was immer ich jetzt tue«, sagte sie, »vertrau mir einfach, okay?«
    »Habe ich denn eine andere Wahl?«
    Nein.
    Pia rammte den Rückwärtsgang hinein, gab Gas und riss das Lenkrad mit einem Ruck herum, der sie nicht nur beide nach vorne schleuderte, sondern auch den einzelnen Schuss, den ein übereifriger Polizist auf sie abgab, ins Leere gehen und dreißig Meter hinter ihnen Funken aus der Straße schlagen ließ. Dem ersten Schuss folgte kein zweiter – Pias Hoffnung, dass sich die beiden Trupps ganz aus Versehen gegenseitig unter Feuer nehmen würden, erfüllte sich nicht –, und sie brachte den Wagen mit einer hastigen Bewegung wieder unter Kontrolle und beschleunigte weiter.
    Ein gewaltiger Schlag ließ die Karosserie ächzen. Das Heck brach aus, als beide Hinterreifen auf einmal platzten, und der Bentley stellte sich quer. Wahrscheinlich verhinderte nur das enorme Gewicht des Wagens, dass er umkippte. Aber es sorgte auch dafür, dass er Funken sprühend und quer zu seiner bisherigen Fahrtrichtung weiterschlitterte. Statt die Schaufensterscheibe mit dem Heck einzurammen, wie Pia es geplant hatte, krachte er seitwärts hinein, zertrümmerte nicht nur eine Scheibe, sondern die gesamte Schaufensterfront und pflügte wie eine unaufhaltsame Naturgewalt weiter, Verkaufsstände Theken, Glas- und Kunststoffvitrinen und Waren unterschiedslos zermalmend und eine immer breiter werdende Spur aus reiner Zerstörung hinter sich herziehend. Die Hälfte der Beleuchtung erlosch schlagartig, und ein Teil des übrig gebliebenen Rests begann zu flackern.
    Der Wagen kam in einem Scherbenregen mit einem letzten, gewaltigen Schlag zum Stehen. Plötzlich roch es verbrannt, und irgendetwas zischte wie heißes Wasser, das auf eine heiße Herdplatte tropfte.
    »Raus hier!«, keuchte sie. »Schnell!«
    Sie bekam keine Antwort. Jesus konnte nicht antworten. Er war nach vorne gesunken und wurde nur noch von den altmodischen Sicherheitsgurten im Sitz gehalten. Pia griff hastig zu, konzentrierte sich auf das schwächer werdende Glimmen in seinem Inneren und fachte es zu neuer Glut an, und diesmal wusste sie, dass es tatsächlich zum unwiderruflich letzten Mal war. Als sie seine Hand losließ, öffnete er die Augen und sah sie wieder auf dieselbe verwirrte Art an wie vorhin, aber nun breitete sich Schwäche wie eine dunkle Woge in ihr aus, und plötzlich war sie es, die darum kämpfen musste, die Augen offen zu halten. »Bitte bleiben Sie noch so lange angeschnallt sitzen, bis der Wagen seine endgültige Parkposition erreicht hat und komplett ausgebrannt ist«, murmelte sie. »Vielen Dank, dass sie mit Pia-Airlines geflogen sind.«
    »Wie?«, murmelte Jesus benommen.
    Pia tastete mit zitternden Fingen nach dem Verschluss des Sicherheitsgurtes, brauchte zwei Anläufe, um ihn überhaupt aufzubekommen, und fiel mehr aus dem Wagen, als sie ausstieg. Auf der anderen Seite krabbelte Jesus kaum weniger unbeholfen aus dem Wrack des Bentley, und hinter ihnen wurden Schreie und das Trappeln zahlreicher schneller Schritte laut. Pia warf einen hastigen Blick hinter sich, während sie, immer noch ein bisschen wackelig auf den Beinen, um den Wagen herumeilte, um an Jesus’ Seite zu gelangen. Mindestens ein Dutzend Polizisten rannten in ihre Richtung, und auch zwei oder drei Streifenwagen hatten sich in Bewegung gesetzt. Einer der Fahrer machte sich sogar die Mühe, seine Sirene noch einmal einzuschalten.
    Zehn Sekunden, schätzte sie; wenn ihnen überhaupt so viel Zeit blieb.
    Sie reichten nicht nur, um den Wagen zu umkreisen und an Jesus’ Seite zu gelangen, sondern auch, um die hintere Tür aufzureißen und nach der Papiertüte zu greifen, die Toni vorhin dort abgestellt hatte. Allerdings führte sie die Bewegung nicht zu Ende, als ihr Blick in den Fond des Wagens fiel und sie sich wieder daran erinnerte, was Jesus vor ein paar Minuten getan hatte.
    »O nein«, sagte sie grimmig. »Das machst du!«
    Jesus schien den vorwurfsvollen Ton in ihrer Stimme nicht wirklich zu verstehen, griff aber gehorsam in den Wagen und nahm die Tasche heraus; ungefähr in derselben Sekunde, in der die ersten Polizisten hinter ihnen durch das zerborstene Schaufenster

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