Elfenzorn
Sie wusste praktisch nichts über Orks, nicht einmal genau, was sie eigentlich waren. Dass sie zwei Arme, zwei Beine und einen Kopf hatten, bedeutete nicht zwangsläufig, dass man sie mit Menschen vergleichen konnte. Vielleicht war dieses sonderbare Verhalten für sie ja ganz normal. Was, wenn sie zum Beispiel Kaltblüter waren, und ihre vermeintliche Trägheit nur an den niedrigen Temperaturen hier oben lag oder an der dünnen Luft?
Und da waren auch noch die anderen und ganz unzweifelhaft menschlichen Gestalten, die sich zwischen den grünen Kolossen bewegten. Pia hütete sich – unsichtbar oder nicht – ihnen auch nur nahe zu kommen, aber Orks und Menschen vertrugen sichnormalerweise nicht sonderlich gut, wie sie aus eigener leidvoller Erfahrung wusste. Hier hatten sie zumindest noch nicht damit begonnen, sich gegenseitig umzubringen, was für sich genommen schon erstaunlich genug war. Pia glaubte hier und da sogar ein raues Lachen zu hören.
Dann ging sie nahe genug an einer der in schwere Fellmäntel gekleideten Gestalten vorbei, um einen Blick in ihr bärtiges Gesicht zu werfen, und die Erkenntnis ließ sie nicht nur mitten in der Bewegung innehalten, sondern gab ihr auch das Gefühl, innerlich zu Eis zu erstarren. Sie kannte dieses Gesicht. Vielleicht nicht wirklich dieses Gesicht, denn sie war dem Mann ganz bestimmt noch nie zuvor begegnet, aber eindeutig ein Gesicht wie dieses. Unter all dem Schmutz, dem wuchernden Bart und dem ungepflegtesten Haar, das sie jemals gesehen hatte, war nicht einmal besonders viel davon zu erkennen, aber es reichte allemal. Es war ein Barbar, ein Mitglied eines der wilden südlichen Stämme, die sich mit Nandes und seinen Orks zusammengetan hatten – oder auch umgekehrt, so genau hatte sie das nie begriffen. Wahrscheinlich spielte das auch keine besondere Rolle ... aber das letzte Mal, dass sie Krieger wie diese gesehen hatte, da hatten sie Schulter an Schulter mit Nandes’ Orks gekämpft und ihr Möglichstes getan, um WeißWald dem Erdboden gleichzumachen; oder wenigstens ein bisschen anzuzünden. Bedeutete das, dass ...?
Pia wich instinktiv ein paar Schritte zurück, als der Krieger so schnurstracks auf sie zu marschierte, als hätte er sie gesehen, erstarrte zu vollkommener Reglosigkeit und hielt den Atem an, während er so dicht an ihr vorbeiging, dass sie sein natürliches Parfum roch, ein Duft, der es mühelos mit dem des toten Orks oben in den Bergen aufnehmen konnte.
Wäre Hernandez selbst in diesem Moment aufgetaucht, wäre sie wahrscheinlich auch nicht nennenswerter erschrocken.
Ganz so boshaft war das Schicksal dann doch nicht zu ihr, aber Pias Gedanken begannen trotzdem immer rasender zu arbeiten.Irgendetwas ganz Besonderes ging hier vor, wenigstens das war ihr klar. Und sie musste herausfinden, was. Flammenhuf hatte sie aus einem ganz bestimmten Grund hierhergebracht. Aber den würde sie wohl kaum herausfinden, wenn sie weiter hier herumstand und darauf wartete, entdeckt zu werden.
Vorsichtig ging sie weiter, erreichte die Felswand und näherte sich ihrem Ziel, einem Durcheinander aus Schatten und unklarer Bewegung, das sich auch aus der Nähe betrachtet beharrlich weigerte, irgendeinen Sinn zu ergeben. Und sie hörte ebenso verwirrende Geräusche. Erst als sie noch näher kam, erkannte sie so etwas wie einen Höhleneingang, der zumindest auf einer Seite künstlich erweitert und mit groben Balken abgestützt worden war. Unterschiedlich große Schatten bewegten sich in der Dunkelheit dahinter – sowohl Menschen als auch Orks, vermutete sie – und sie hörte ein scharfes Knallen, das ihr irgendwie das Gefühl gab, dass sie es erkennen müsste. Um wirklich Klarheit zu gewinnen, musste sie diese Höhle betreten, und nicht nur alles in ihr sträubte sich gegen die bloße Vorstellung, das zu tun. Als sie es wider besseres Wissen doch versuchte, ging es zwar, aber sie hatte auch das Gefühl, sich durch einen unsichtbaren klebrigen Morast vorwärtskämpfen zu müssen. Nach nur zwei Schritten gab sie es auf und sah stirnrunzelnd auf ihre Füße hinab. Ganz offensichtlich waren auch ihre Stiefel der Meinung, dass sie dort besser nicht hingehen sollte.
Pia beschloss, auf sie zu hören. Hinter diesem finsteren Tor im Fels war etwas, dem sie besser nicht begegnen sollte.
Das sonderbare Knallen wiederholte sich, und sie sah einen Schatten, der plötzlich taumelte und auf die Knie fiel, sich aber gleich darauf wieder hochstemmte und weiterstolperte. Ein Ork, hinter
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