Elfriede im Salon (German Edition)
anzunehmen. Elfriede denke zu radikal, war die einhellige Meinung der Philosophen. Lulu hingegen konnte sich nicht vorstellen, was Elfriede von den älteren Herren wollte. Das bedeutete allerdings, dass sie sich wohl nun bald einen der Philosophen vornehmen musste. Elfriede schien keine Verführungskünste zu besitzen. Für Lulu wäre es das Einfachste gewesen, einen dieser alten Knacker rumzukriegen. Statt dessen hatte Elfriede es mit Argumenten versucht. Sie hätte wissen müssen, dass Philosophen sich beim Argumentieren nicht leicht geschlagen geben; im Übrigen konnten Philosophen einfach besser argumentieren als Hausmädchen. Die Philosophen sagten eine Weile nichts und schauten der wunderschönen Elfriede beim Tanzen zu.
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Für weitere Revolutionen schien im philosophischen Salon kein Raum zu sein. Ein Abend mit einer Nutte schien so etwas wie eine Revolution zu sein; es war allerdings eine gekaufte Revolution. Die alten Männer starrten auf ihre Revolutionärin, die zur Jazz-Musik tanzte. Vermutlich hätte sie zu fast jeder Musik getanzt, wenn gleich auch nicht zu Deutscher Volksmusik. Es hatte den Anschein als beinhalte ihre Bewegungen eine Form von Trotz. Elfriede protestierte mit ihrem Körper. Vielleicht verfluchte sie mit ihrer Körpersprache alle Philosophen dieser Welt, vielleicht versuchte sie aber auch nur zu vergessen, dass sie sich “vergessen” hatte. Was sollte es auch schon, ihren Körper, ihren Sex alten Männern anzubieten, deren Geschick als Liebhaber mehr als fragwürdig war? Sie tanzte nicht weich, eher aggressiv und kantig, sodass man von einer trotzigen Anmut sprechen konnte; und bei alledem war sie wunderschön. So gut wie alles an diesem Abend schien die Philosophen in ihren Bann zu schlagen, so auch dieser Tanz. Die Philosophen registrierten stumm ihre Bewegungen, ohne Elfriedes Körpersprache zu verstehen. Aber stumme Philosophen können ohne Weiteres die Sprache zurückgewinnen, wie eine Äußerung von Dr. Schwarz bewies. “Es ist richtig, sie nicht anzurühren.” - “Wir hätten sie längst nach Hause schicken sollen.” Professors Hügels Bedenken zu Elfriedes Anwesenheit schienen wieder verstärkt. Befürchtete er, sie könne wieder Zeugin werden, wenn er sich mit der Nutte erneut einließe. “Sie bleibt brav und darf bleiben”, sagte Robert Unmuth bestimmt. Dr. Schwarz stimmte nickend zu. Daraufhin kam ihm aber der Gedanke, er müsse sich der Stimme enthalten, da er sich selbst vermutlich nur noch aufs Zuschauen beschränken würde. Er äußerte diesen Gedanken aber nicht und somit blieb es bei seinem zustimmenden Nicken. Professor Hügel hatte allerdings nicht vor, erneut eine Diskussion um Elfriede zu entfachen. Mochte der Abend bringen, was er wollte, sie saßen alle in einem Boot.
Dieses Boot schien aber untergehen zu wollen, denn es war ungeeignet, auf unbekanntem, tiefen Gewässer zu philosophischen Erkenntnissen zu steuern. Sie trieben auf einem Meer des Unbewussten und irgendwo lag vielleicht das Eiland der Philosophie, ein hoher Fels, der aus dem dunklen Meer ragte und Bewusstsein und Erkenntnis versprach. Vielleicht gab es eine weitere Insel, die Insel der reinen Lust. Aber auch diese zu erreichen, wenn sie nicht nur ein Fantasiegebilde war, schien unwahrscheinlich oder gar unmöglich. Das Boot trieb steuerlos umher und leckte schon ein wenig. Die Besatzung war von einer seltsamen Krankheit befallen, die paralysierte und orientierungslos machte.
Was verbarg sich zwischen den Schenkeln von Lulu? Lag dort der Schlüssel der Erkenntnis oder einfach die gefährlichste Stelle des dunklen Ozeans, die alles verschlucken konnte?
Allenthalben schien der Abgrund zwei Pforten zu haben. War die tanzende Elfriede nicht viel gefährlicher als die Nutte? Der bezahlte Untergang erschien erträglicher als der Untergang durch reine Leidenschaft. Noch eben gratulierte man Dr. Schwarz zur vollbrachten Höchstleistung, aber schon schien wieder eine Anspannung den philosophischen Salon im Griff zu haben, die es zu rechtfertigen schien, alles zu dramatisieren und zu übertreiben. Die Protagonisten des Salons übertrieben vielleicht in ihren Köpfen, denn niemand ergriff das Wort, um etwa mit dem Bild des sinkenden Bootes die Situation zu beschreiben.
Lulu nippte an ihrem Glas und genoss die Pause, die man ihr gewährte. Sie hatte im Grunde genommen auch keinen Sinn für die
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