Elidar (German Edition)
groß wie ein Berg und ebenso massiv und unerschütterlich.
Groß war er immer noch, und wahrscheinlich sogar noch etwas massiver. Sein Gesicht begann ein wenig zu verwittern und der Haarkranz um seinen Kopf war grauer geworden. Er summte leise und unmelodisch vor sich hin. Aber Elidar spürte die Unruhe in seinem Inneren und sah scharfe Linien in seinem großen Gesicht, die seine Stirn furchten und seine Mundwinkel verzogen.
»Was hat er?«, fragte sie zurück.
Bär drückte mit seinem breiten Daumen das Pfeifenkraut zusammen und hob den Blick. »Er stirbt«, sagte er.
»Woran?«
Die Pfeife drehte sich ruhelos zwischen den Fingern des Magiers. »Das, woran letztlich jeder von uns sterben wird. Die Last der Equils, mein junger Freund.«
Elidar zog die Brauen zusammen. »Warum so plötzlich? Und warum behauptet er, du …« Sie unterbrach sich und verschränkte fest die Hände.
Die Pfeife lag still in der großen Hand. Bär lehnte sich zurück und sah Elidar an. Das Weiße in seinen Augen leuchtete gespenstisch im Halbdunkel der Bibliothek. Sie konnte seine Miene nicht deuten.
»So plötzlich«, wiederholte er. »Ahnst du überhaupt, wie alt seine Magnifizenz ist?«
»Ich weiß, dass er weit älter ist, als ich gedacht habe.«
Bär schnaubte. »Er ist weit älter als wir alle zusammen.« Er drehte wieder ruhelos die Pfeife zwischen seinen Fingern, die Stirn in tiefe Falten gelegt. Elidar hatte ihren behäbigen Lehrer gelegentlich auch wütend oder betrübt erlebt, aber die Stimmung, in der er sich nun befand, war ihr fremd. Bei jedem anderen hätte sie vermutet, dass er außer sich sei - vor Sorge oder aus irgendeinem anderen Grund. Aber Nicodemus Bär war kein Mann der heftigen Gefühlsregungen. Was immer ihn bewegte, sie konnte es nicht deuten.
Bär steckte die Pfeife in die Tasche, seufzte und schüttelte sich, wie ein Hund, der aus dem Regen kommt. »Casarius war einer der Gründer unseres Ordens. Ich habe euch im ersten Abschnitt mit dieser Geschichte gelangweilt.« Der Schimmer eines Lächelns huschte über sein Gesicht, nistete kurz in seinen Augenwinkeln und machte erneut einer sorgenvollen Miene Platz.
Elidar kramte in ihrem Gedächtnis. »Es war dort aber keine Rede von seiner Magnifizenz«, sagte sie nach einer Weile.
Bär streckte ächzend die Arme aus und verschränkte sie dann hinter dem Kopf. Die Nähte seines Habits knirschten bedrohlich.
»Er wollte es nicht«, sagte er. »Keiner von uns hat jemals herausfinden können, wie es ihm gelungen ist, so lang zu leben und dabei kaum zu altern. Glaube mir, es gab viele vergebliche Versuche, sein Geheimnis zu lüften. Und wahrscheinlich hat es ebenso viele fehlgeschlagene Versuche gegeben, dieses unerklärlich lange Leben zu verkürzen.« Er verzog das Gesicht.
»Mordversuche?«, fragte Elidar, die sich dabei ertappte, dass sie den Atem anhielt.
»Zwei davon habe ich persönlich aufdecken und vereiteln können.« Bär ließ die Arme sinken und lehnte sich vor. Er sah sie eindringlich an. »Und damit wären wir bei der Frage, die du mir eingangs beinahe gestellt hättest.«
Elidar sah sein Gesicht und schluckte. Bär fixierte sie mit einem Lächeln, das so kalt war wie eine Wüstennacht. »Du traust mir also zu, dass ich meinen Ordensobersten, meinen Mentor und ältesten Freund kaltblütig und hinterhältig ermorde.« Es war keine Frage.
Elidar erwiderte seinen Blick, ohne die Augen niederzuschlagen. »Ja«, sagte sie einfach.
Bär zuckte leicht mit den Lidern. »Dein Urteil trifft mich sehr«, erwiderte er leichthin. »Ich hätte allerdings vermutet, dass du zu einer anderen Einschätzung meiner Person und meiner Motive gelangt bist, und frage mich, ob ich mich nun gekränkt oder geschmeichelt fühlen soll.«
Elidar blickte auf ihre Hände und sammelte ihre Gedanken. Es stimmte, niemand würde Bär ernsthaft eine so große Bosheit zutrauen.
»Du hast recht«, sagte sie nach einer Weile. »Wenn du mir diese Frage früher gestellt hättest, vor meiner Prüfung oder auch kurz danach, hätte ich so etwas weit von mir gewiesen.«
»Aber heute siehst du das anders«, stellte Bär fest.
War er wirklich gekränkt? Sein Gesicht und seine Haltung ließen keine Deutung zu.
»Heute sehe ich es anders«, bestätigte sie.
»Und weshalb sollte ich etwas so Perfides planen?«
»Vielleicht verlangt es dich danach, seinen Platz einzunehmen«, erwiderte Elidar nach einem kurzen Moment des Zögerns.
Bär lachte kurz auf. »Was für ein absurder
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