Elidar (German Edition)
Augen. Dann sah Elidar, wie seine Hand sich drehte, bis sie mit geöffneter Handfläche wartend vor ihr lag. Sie legte ihre Hand hinein, und seine Finger schlossen sich kalt und trocken darum.
Eine Weile lang blieb es still. Elidar konnte nicht erkennen, ob Sturm eingeschlafen war, oder ob sein Geist versuchte, den ihren zu erreichen.
Dann lockerte sich der Griff seiner Finger, und seine Hand zog sich zitternd wie ein kleines Tier zurück. »Du bist ein seltsames Wesen, Elidar Zorn«, flüsterte er schwach. »Aber wenn du bereit bist, mir zu helfen, dann kannst du es tun. Ich kann deine Kraft erkennen, und sie ist so groß und schrecklich wie zuvor. Niemand hat sie dir genommen.«
Er lachte wieder, und es klang gespenstisch.
»Willst du mir helfen, mein Kind?«, fragte er.
Elidar seufzte. Seine Worte hatten ihr wohl getan, obwohl sie nichts daran änderten, dass sie selbst sich schwach und ohnmächtig fühlte. »Ich täte nichts lieber«, sagte sie. »Aber …«
»Du wirst sie wieder benutzen können«, sagte er. »Du solltest dich aber sputen, denn ich weiß nicht, wie lange er mich noch leben lässt.«
Er hatte die letzten Worte nur geflüstert, deshalb war sich Elidar nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte. »Magnifizenz?«, fragte sie, aber Sturm antwortete nicht. Sein Kopf war vornüber gesunken, und die Hand, die sie gerade noch berührt hatte, lag schlaff in seinem Schoß. Und während sie ihn ansah, verdichtete sich der Schleier wieder, der bei ihrem Eintreten über seiner Gestalt gelegen hatte, und verhüllte ihn vor ihren Blicken.
Elidar kehrte nachdenklich zu ihren Freunden in den sonnendurchfluteten Innenhof zurück. Schon während sie durch die Tür ins Freie trat, hörte sie Valons Stimme, der sich mit einem Becher in der Hand ein Wortgefecht mit seinem Bruder lieferte. Bär saß daneben und lächelte in sich hinein.
»Da bist du ja endlich«, empfing Valon sie. »Wir streiten gerade über die passendste Stelle für das Zeichen der Dunklen Nigh.« Sein Gesicht war erhitzt und fröhlich.
Elidar blickte von ihm zu Bär, der mit seinem breiten Rücken bequem an der Mauer lehnte und seine Pfeife schmauchte. Er beugte sich ein wenig vor und schob den Ärmel über seinem kräftigen Unterarm hoch, um ihr das eintätowierte Spinnennetz darauf zu zeigen.
Valerian lachte. »Wie kann man sich nur so etwas in die Haut stechen lassen? Ihr seid verrückt.«
Valon boxte ihn gegen die Schulter. »Du warst ganz wild darauf, also gib nicht so an. Weißt du noch, wo du es haben wolltest?« Er tippte sich grinsend an die Schläfe. Dann stieß er Elidar an, deren Gedanken immer noch bei der Begegnung mit dem im Sterben liegenden Sturm weilten.
»Ja«, sagte sie geistesabwesend. »Genau da möchte ich es haben.« Sie wandte sich dem stillen Bär zu. »Kann ich mit dir sprechen - allein?«
Er musterte sie ebenso neugierig wie die beiden jungen Magister. »Jetzt?«
»Wann immer es dir passt«, erwiderte sie.
Er erhob sich. »Wir sind gleich wieder bei euch«, sagte er.
Sie gingen Seite an Seite ins Haus. Bärs Gesicht war freundlich und gelassen wie immer, aber Elidar hörte ihn leise und fast tonlos summen, was er immer tat, wenn ihn etwas beunruhigte oder ärgerte.
»Wo warst du?«, fragte er nach ein paar Schritten.
»Bei seiner Magnifizenz«, erwiderte sie. »Deshalb möchte ich mit dir reden.«
»In der Bibliothek?«, schlug Bär vor. Sie nickte.
Wie erwartet, war der große, nach alten Büchern und Staub riechende Raum leer. Stimmen schallten fröhlich aus dem Hof zu ihnen herein. Elidar ging zum Fenster und schloss es.
»Du hast ihn gesehen«, sagte Bär. Er setzte sich nicht an den langen Tisch in der Mitte des Raums, sondern blieb neben der Tür stehen und befingerte unruhig seine Pfeife, die er aus der Tasche gezogen hatte.
»Setzen wir uns?« Sie ließ sich in einen Sessel am Fenster fallen und stützte die Füße gegen das Sims.
Bär zögerte einen Lidschlag lang, dann zog er sich ebenfalls einen Sessel heran. Er blickte unschlüssig auf seine Pfeife nieder und begann dann damit, sie zu stopfen.
»Was wollte er von dir?«, fragte er beiläufig.
Elidar ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Sie betrachtete Bär, der ganz in sein Tun vertieft schien, und dachte an ihren allerersten Morgen im Ordenshaus und ihr Zusammentreffen in der Küche. Sie war ein Kind gewesen und hatte sich an seiner Freundlichkeit gewärmt wie an einem Herdfeuer. Bär war ihr damals wie ein Riese erschienen,
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